Teile und herrsche
DÜSSELDORF Der Westen – das war immer schon ein etwas schwammiger Begriff. Aber es bestand nie ein Zweifel, dass zwei wichtige Säulen diese Gemeinschaft der Werte seit 1945 politisch, ökonomisch und militärisch stützten. Zum einen die deutsch-französische Partnerschaft, die Keimzelle des europäischen Zusammenwachsens nach zwei verheerenden Weltkriegen. Zum anderen eine starke Bindung zu den USA, eine transatlantische Achse, die die Sicherheit Europas garantierte und für Wohlstand auf beiden Seiten des Ozeans sorgte. Doch gestern ließ sich in Berlin und Washington besichtigen, wie diese jahrzehntelangen Gewissheiten nun in Windeseile zu zerbröseln drohen.
In Berlin trafen sich Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie beschworen, wie so häufig in letzter Zeit, europäischen Zusammenhalt. Der sei mehr denn je vonnöten, mahnte Merkel, angesichts einer sich dramatisch verändernden Weltlage. Hollande wurde deutlicher. US-Präsident Donald Trump stelle die EU vor neue Herausforderungen, sagte der Franzose. Zu diesen Herausforderungen gehört wohl auch, dass Trump gestern Abend in Washington die britische Premierministerin Theresa May empfing. Die Nachlassverwalterin der britischen EU-Mitgliedschaft trifft den ersten US-Präsidenten, der jemals öffentlich geäußert hat, ein Zerfall der EU sei für ihn kein Drama, wenn nicht sogar erstrebenswert. Während Europa um eine neue Perspektive ringt, biedern sich die Briten auf ihrem Solotrip dem großen Bruder in Washington an – der Westen scheint ein Auslaufmodell zu sein.
Ein Symptom für die aktuelle Krise der EU ist Mays Besuch bei Trump allemal. Vor allem aber für den enormen Erfolgsdruck, unter dem die britische Premierministerin selbst steht. Um der EU in den anstehenden Austrittsverhandlungen besonders bei der Frage der Freizügigkeit nicht entgegenkommen zu müssen, strebt May einen knallharten Brexit an. Der bisherige Zugang zum EU-Binnenmarkt soll aufgegeben und durch möglichst viele Freihandelsverträge mit anderen Ländern ersetzt werden. Ein derartiges Abkommen mit den USA wäre das Kronjuwel ihrer neuen Handelsstrategie, und Donald Trump hat den Briten in bewusster Abkehr von der Haltung seines Vorgängers Barack Obama schon früh signalisiert, dass ein Handelsdeal mit den Briten für ihn Vorrang hat – zumal dieser seine radikale Abkehr von multilateralen Abmachungen wie TPP oder TTIP nochmals untermauern würde. Das Abkommen mit Großbritannien könnte zudem als Mustervertrag für neue bilaterale Handelsbeziehungen gelten, wie sie Trump vorschweben. Er weiß, dass er in bilateralen Verhandlungen mit kleineren Partnern die amerikanische Verhandlungsmacht ungenierter ausspielen kann.
Für May handelt es sich damit in Wirklichkeit um einen schwierigen Spagat. Auf der einen Seite will sie die Handelsbrücken zur EU abbrechen. Auf der anderen Seite umwirbt sie einen Partner, der die Mauern um das eigene Land immer höher zieht. „America First“trifft auf „Global Britain“, und man wird erst noch sehen müssen, wie May, die den Austritt ihres Landes aus der EU zumindest verbal mit der Weltoffenheit einer global vernetzten Insel begründet, mit einem Mann zurechtkommt, der stets betont, dass Amerika an allererster Stelle komme. May steht zudem vor der enormen Herausforderung, dem Isolationisten Trump nicht nur von den Vorteilen eines freien und fairen Handels mit Großbritannien zu überzeugen, sondern auch von der wichtigen Rolle der Nato, die man in London auf gar keinen Fall durch einen amerikanischen Rückzug aus dem Ver-
Dass Donald Trump Theresa May den Hof macht, ist ein Mittel, um den Druck auf Angela
Merkel zu erhöhen