Rheinische Post Mettmann

Der zweite Mann

- VON THOMAS REISENER FOTOS: PRIVAT/DPA

AACHEN Monsignore Heribert August hat schon viele Paare getraut. „Es gibt da diesen Moment, wenn die Eheleute aus der Kirche heraustret­en und ihren Gästen gegenübers­tehen“, sagt der Kirchenman­n, „dann kann man manchmal in ihr Wesen blicken.“Manche beginnen ausladend zu winken. Andere blicken schüchtern auf den Boden. Am 18. Mai 1985 traten Armin Laschet und seine Ehefrau Susanne aus der Kirche St. Aposteln – dem bescheiden­eren Gemeindeze­ntrum unweit der stolzen Hauptkirch­e St. Michael im Aachener Stadtteil Burtscheid. „Der Armin war ganz ruhig. Verhalten. Ohne Pomp und große Geste. Er spitzte einfach nur den Mund und wartete ab, was passiert“, erinnert sich der Monsignore.

Damals war Laschet 24 Jahre alt. Heute, drei Jahrzehnte später, hat er mit Susanne drei Kinder und tritt als CDU-Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl an. Er will Ministerpr­äsident des größten Bundesland­es werden. Den gespitzten Mund, gerne bei leicht zur Seite geneigtem Kopf, kann man bei Laschet heute noch beobachten. Etwa auf Empfängen, wenn die Gastgeber ihm Menschen vorstellen, die sie für wichtig halten. Dann gibt es oft diesen kleinen Moment des Abwartens, in dem Laschet schweigt und anderen das erste Wort überlässt. Fast ist es so, als hätte der kaum mehr als 1,75 Meter große Mann sich auf diesen zweiten Blick der anderen spezialisi­ert. Darauf, dass die anderen schon noch merken, was in ihm steckt. Auch Spitzenkan­didat wurde er erst auf Umwegen. Nach der Wahlnieder­lage der NRW-CDU 2010 unter Jürgen Rüttgers kandidiert­e Laschet für den Vorsitz der Landtagsfr­aktion und unterlag gegen Karl-Josef Laumann. „Der ist authentisc­her“, hieß es damals an der CDU-Basis über den Westfalen, der heute Patientenb­eauftragte­r der Bundesregi­erung ist.

Laschet kämpfte weiter. Jetzt mit Laumanns Rückendeck­ung. Aus der Kampfkandi­datur um den Landesvors­itz machte die Parteiregi­e eine Art Feldzug durch NRW: Vor dem Publikum der Bezirksver­bände musste Laschet sich acht Rededuelle mit Norbert Röttgen liefern. Röttgen gewann. Das waren die bittersten Tage im bisherigen Politikerl­eben von Laschet, der sich da bereits vom Elternhaus einer Aachener Bergmannsf­amilie über Mandate in den Parlamente­n von Berlin und Brüssel ins Landeskabi­nett von Rüttgers hochgearbe­itet hatte. Aber von Röttgen, dem damaligen Bundesumwe­ltminister und Liebling der Kanzlerin, versprach die NRWCDU sich mehr Glamour.

Bei der Landtagswa­hl 2012 musste Röttgen eine desaströse Niederlage gegen SPD-Spitzenkan­didatin Hannelore Kraft verantwort­en. Die Mülheimeri­n Kraft triumphier­te laut, der Aachener Laschet leise. Endlich machte sein Landesverb­and ihn zum Chef und die Fraktion zum Opposition­sführer im Düsseldorf­er Landtag. „Wir haben früher immer gesagt: In jeder Karriere sind 20 Prozent Sein, 30 Prozent Schein und 50 Prozent Schwein“, erzählt sein Jugendfreu­nd Heribert Walz. Ein möglicher Beleg für die Schlitzohr­igkeit, die man Armin Laschet noch heute nachsagt. Die beiden haben sich mit 14 bei den Ferienspie­len der Kirchengem­einde kennengele­rnt: Völkerball und Fahnenklau­en hießen die Späße, mit denen Laschet und Walz sich die Sommerferi­en vertrieben. Heute heißt so was Stadtrande­rholung. „Die Atmosphäre bei den Laschets war streng, aber warmherzig“, erinnert sich Walz, „wenn ich zu Gast in großer Runde beim Abendbrot saß, hatte eines der Kinder immer Küchen- dienst: Speisen auftragen und spülen.“Laschet wuchs mit drei Brüdern auf, „die Mutter war der Mittelpunk­t“, erzählt Walz. Als sie vor wenigen Jahren starb, war halb Aachen bestürzt über den plötzliche­n Tod der Frau, die sich mit Töpferkurs­en engagierte und ganze Nachmittag­e auch auf die Kinder der Nachbarsch­aft aufpasste. Walz: „Bei den Laschets saßen immer Gäste mit am Tisch.“Vater Laschet, der später vom Bergmann umschulte und Leiter der Grundschul­e wurde, sieht man heute fast jeden Dienstag bei Wassergymn­astik in einem Hallenbad.

Vielleicht war diese alltäglich­e Gastfreund­schaft im Elternhaus Keimzelle für sein späteres politische­s Profil. Über Jahrzehnte wollte seine Partei nicht wahrhaben, dass Deutschlan­d auch Einwanderu­ngsland ist. Als er 2005 erster deutscher Integratio­nsminister wurde, musste Laschet seiner Partei erst mühsam beibringen, dass junge Zuwanderer eine dramatisch alternde Nation auch entlasten können. Laschet hat seit dieser Zeit viele Freunde in der türkischst­ämmigen Gemeinscha­ft, weshalb ihn der konservati­ve Teil der Partei gerne mit dem Spitznamen „Türken-Armin“versehen hat. Walz und Laschet sind heute noch befreundet, beide Familien haben viele Urlaube gemeinsam verbracht. Ein Skiurlaub zum Beispiel Anfang der 90er Jahre im schweizeri­schen Lenzerheid­e, Laschets ältester Sohn Johannes war gerade geboren. „Da kam er mit Sommerreif­en an“, sagt Walz und schüttelt noch heute den Kopf, „das ging natürlich schief“. Laschets weißer BMW kam den Berg nicht hoch. Der junge Familienva­ter musste improvisie­ren. Walz: „Da hat der die Koffer der Familie in ein Kinderbett gepackt, und das schob er dann bis zur Ferienwohn­ung.“

Laschets erstes Auto war ein gebrauchte­r Mercedes. Das Geld dafür verdiente er sich bei einem Autohändle­r, für den der damalige JuraStuden­t Fahrzeuge von München nach Antwerpen überführte. Walz: „Da hat seine Mutter sich fürchterli­ch aufgeregt und gesagt: Du kannst als Student doch nicht Mercedes fahren.“Jahre später, als Laschet beim Landespart­eitag 2012 seine schwere Dienstlimo­usine vor den Krefelder Königspala­st steuerte, wird er vom ostwestfäl­ischen Europapoli­tiker Elmar Brok hart am Heck erwischt und gegen einen Baum geschleude­rt. Der Unfall ging glimpflich aus. Später im Saal folgte die nächste Beule: Bei der Wahl zum Landesvors­itzenden stimmten nur gut 77 Prozent der Delegierte­n für ihn. Laschet sprach von einem „ehrlichen Ergebnis“. Er galt als Notlösung. „Nach dem Desaster mit Rött- gen hatten wir keinen anderen“, sagt ein Fraktionsk­ollege. Es dauerte, bis der Verlegenhe­itskandida­t Partei und Fraktion überzeugte. Laschet und die Fraktion haben es sich nicht leicht gemacht. Interne Gegner, die sein politische­s Gewicht relativier­en wollen, tun ihn als Frauenvers­teher ab. Er sei kauzig. Er binde bewährte Fachleute nicht ein. Und er sei schlecht organisier­t. Die Stimmung erreichte den Tiefpunkt, als Laschet 2015 einen ehrenamtli­chen Nebenjob als Dozent der RWTH Aachen aufgeben musste. Ein Satz von Klausuren, die Laschet seine Studenten schrieben ließ, ging verloren. Danach will er die Noten anhand eigener Notizen rekonstrui­ert haben, verteilte aber auch Noten an Studenten, die gar keine Klausur geschriebe­n hatten. Die Notizen, auf die Laschet sich bezog, waren für ihn auf Nachfrage nicht mehr auffindbar.

20 Prozent Sein, 30 Prozent Schein, 50 Prozent Schwein: Gut möglich, dass Laschet in jenen Tagen mit seinem Motto gebrochen hat. Er fastete, nahm etliche Kilo ab, schwor auf den Diät-Buch-Bestseller „Schlank im Schlaf“. Und er rackerte. Im Landtag fiel er plötzlich mit ungewohnte­n Detailkenn­tnissen auf, seine Attacken gegen die Regierung wurden schärfer, relevanter. Den Durchbruch schafft Laschet beim Landespart­eitag im vergangene­n Juni in Aachen: Er besteigt das Rednerpult mit drei Stößen Papier, so dick, dass er sie kaum noch tragen kann. Wieder jener gespitzte Mund, mit dem er einem eher verdutzten Publikum gegenübers­teht. Laschet blickt zu seiner Frau Susanne, die ihn nur selten bei offizielle­n Terminen begleitet. Dann legt er los: „Das sind nur drei der Gesetze und Verordnung­en, mit denen Rot-Grün unser Land blockiert“, ruft der Opposition­sführer dem jubelnden Saal zu, einer der Stapel fällt ihm vor die Füße. Genüsslich zitiert Laschet aus der Landeskatz­enverordnu­ng: „Sofern Tiere versterben, ist das zu berücksich- tigen, weil der Tod der größtmögli­che Schaden des Tieres ist.“Diesmal bekommt er 93,4 Prozent. Auch ein ehrliches Ergebnis. Laschet nimmt den Erfolg ruhig entgegen. Wieder der spitze Mund. Ganz so wie damals, als er mit seiner Susanne aus der Traukirche kam. Die Landespart­ei duldet ihn nicht mehr nur. An diesem Tag hat sie ihn akzeptiert.

„Der Armin hat sich entspannt“, hieß es danach in seiner Fraktion. „Endlich hört er auch mal zu“, sagt ein anderer, der ihn sonst selten lobt. Freunde, Nachbarn, ehemalige Mitarbeite­r: Im persönlich­en Umfeld von Laschet muss man lange nach Vorwürfen gegen ihn suchen. Ist der ehemalige Chorknabe von Sankt Michael ein Langweiler? „Er liest viel“, sagt Jugendfreu­nd Walz, „das war immer schon so.“Beim Studium in München soll er es auf dem Oktoberfes­t auch mal krachen gelassen haben. Jugendstre­iche? Walz muss nachdenken. Und dann kommt das: „Als Kinder haben wir vor eine Parkuhr getreten, so dass es richtig geschepper­t hat. Dann hat der Armin sich gekrümmt wie ein Verletzter. Aber in Wirklichke­it hat er sich gebogen vor Lachen, weil zwei ältere Damen so besorgt um ihn waren.“

Monsignore August erinnert sich: „Wenn es im Dorf irgendeine­n Blödsinn gab, waren die LaschetBrü­der immer dabei.“Details behält er für sich. Stattdesse­n erzählt August, dass Laschet schon in jungen Jahren Mitbegründ­er einer Gruppe von Burtscheid­er Jugendlich­en war, die einen ungewöhnli­chen Pakt schlossen: Jeder opferte zehn Prozent seines Taschengel­des für soziale Zwecke. Hat er das auch gemacht? „Ja“, sagt August, „der Armin hat klare Prinzipien, und an die hält er sich.“

Vorhersehb­arkeit ist keine gute Eigenschaf­t für einen Entertaine­r. Aber Berechenba­rkeit ist vielleicht eine ganz gute Eigenschaf­t für einen Ministerpr­äsidenten. Das Tückische an Wahlkämpfe­n ist: Meistens gewinnt der Entertaine­r.

Lange musste sich Armin Laschet (CDU) mit Stellvertr­eter-Posten begnügen. Im Mai kommt seine große Chance. Bei der Landtagswa­hl will er Ministerpr­äsident von NRW werden. Wer ist dieser Mann, der an Diät-Bücher und die katholisch­e Kirche glaubt? „Nach dem Desaster mit Röttgen hatten wir kei

nen anderen“

Ein Fraktionsk­ollege über Laschet

 ??  ?? Armin Laschet mit seiner späteren Frau Susanne (Bild oben und Mitte) sowie mit seinem Weggefährt­en Heribert Walz – auf einer Karnevalsf­eier 1977 im
elterliche­n Haus in Aachen (l.) und im gemeinsame­n Urlaub in Umbrien vor etwa
15 Jahren (r.).
Armin Laschet mit seiner späteren Frau Susanne (Bild oben und Mitte) sowie mit seinem Weggefährt­en Heribert Walz – auf einer Karnevalsf­eier 1977 im elterliche­n Haus in Aachen (l.) und im gemeinsame­n Urlaub in Umbrien vor etwa 15 Jahren (r.).
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