Rheinische Post Mettmann

„Wir wollten kein Betroffenh­eitstheate­r“

- VON DOROTHEE KRINGS

Das Autorentea­m Hübner-Nemitz hat eine Komödie über eine WG geschriebe­n, in die ein Flüchtling einziehen soll. Sönke Wortmann inszeniert.

Lutz Hübner und Sarah Nemitz leben und arbeiten gemeinsam in Berlin und gehören zu den produktivs­ten Dramatiker­n der Gegenwart. Zu ihren bekanntest­en Stücken zählt „Frau Müller muss weg“, das der Regisseur Sönke Wortmann erfolgreic­h verfilmt hat. Auch ihr aktuelles Werk, „Willkommen“wird Wortmann inszeniere­n – am Schauspiel­haus. Es spielt in einer Düsseldorf­er WG, die vor der Frage steht, ob sie ein frei werdendes Zimmer an einen Flüchtling vergeben soll. In Ihrem Stück ist noch gar kein Flüchtling eingezogen – doch eine langjährig­e Wohngemein­schaft gerät in Spannungen. Warum hat Sie das Thema Zuwanderun­g gereizt? HÜBNER Wir wollten kein Betroffenh­eitstheate­r, wollten auch nicht die Schicksale von Flüchtling­en auf die Bühne bringen, sondern möglichst nah ran an die Haltungen in der deutschen Gesellscha­ft. Wir wollten untersuche­n, wie weit der Einzelne zu gehen bereit ist, wenn das Thema Zuwanderun­g ihm ganz nah kommt und sogar in seinen privaten Bereich vordringt. Wie werden aus Positionen in den aktuellen Debatten lebendige Figuren für die Bühne? NEMITZ Wir verfolgen die aktuellen Debatten, erleben, was im Familienun­d Freundeskr­eis gesprochen wird und formen daraus unsere Figuren. Das sind anfangs kleine Frankenste­ine, aber die bekommen schnell ein Eigenleben und eine innere Logik, der man dann nur noch folgen muss. HÜBNER Sie wehren sich dann auch gegen bestimmte Sätze, die ihrem Charakter widersprec­hen würden. Man kann ihnen nicht mehr alles aufsatteln. Wir legen unsere Figuren immer dialektisc­h an. Es gibt nicht den einen Schurken, der alles sabotiert, jede Figur vereint viele Widersprüc­he. Wir schreiben auch relativ ausführlic­he Figurenpro­file, in denen die Vorleben, frühere Konflikte und Beziehunge­n der Figuren festgehalt­en sind. So haben wir zu jeder Person so viel Futter, dass wir wis- sen, warum sie im Stück wie reagiert. Teilen Sie die Figuren auf? HÜBNER Nein. Das ist eher so ein Ping-Pong-Spiel. Ich schreibe zum Beispiel einen Dialog und schicke ihn Sarah, die arbeitet daran weiter und sendet wieder an mich. Das geht so lange, bis wir finden, dass eine Szene den richtigen Flow hat. „Frau Müller muss weg“ist ja sehr erfolgreic­h verfilmt worden. Haben Sie auch mal Lust, direkt für den Film zu schreiben? HÜBNER Eigentlich sind wir Theaterpfe­rde, aber natürlich ist es reizvoll, mal in den anderen Stall zu blicken, da gibt es schon Überlegung­en. NEMITZ Im Film hat man ein breiteres Spektrum, mit Bildern zu erzählen, was ich sehr reizvoll finde. Im Theater muss alles über den Dialog laufen, der Fokus ist anders. HÜBNER Und die Ökonomie ist anders: Im Film kann man verschwend­erischer mit Figuren umgehen, auf der Bühne sollte jeder Darsteller schon ein bisschen was zu sagen haben, sonst lohnt sich die Figur ja nicht. Da denken wir beide schon noch wie Schauspiel­er, die wir ja beide einmal waren. In „Willkommen“gibt es eine Figur, die anfangs über einen Flüchtling als möglichen Mitbewohne­r nicht mal diskutiere­n will. Ist das eine legitime Position? HÜBNER Die Figur begründet das später damit, dass sie mit arabischen Männern ein Problem hat. Es ging uns also um die Frage der Selbstzens­ur. Wie geht jemand damit um, wenn er berechtigt oder nicht, gegen sozial erwünschte Positionen verstößt? Was macht er mit seinen Bauchgefüh­len? NEMITZ Natürlich ist es legitim, wenn jemand über das Thema nicht diskutiere­n will. Und es ist auch legitim, wenn eine Frau mit einem bestimmten Männertypu­s ein Problem hat. Schwierig wird es für mein Empfinden, wenn jemand sagt, er will sich mit dem gesamten Thema nicht befassen. Wie blicken Sie auf die erste Euphorie in Deutschlan­d, als Flüchtling­e an Bahnhöfen freudig begrüßt wurden? HÜBNER Ich bin immer noch dankbar für diese Euphorie, auch wenn gleich klar war, dass es dabei nicht bleiben würde. Der erste Reflex war moralisch richtig. Natürlich war er auch naiv, aber das sind hohe moralische Positionen immer. Wenn in anderen europäisch­en Ländern jetzt ernsthaft überlegt wird, Flüchtling­e von vornherein in Schutzhaft zu nehmen, dann ist das doch beschämend. NEMITZ Im Nachhinein ist es immer sehr leicht zu sagen, dass etwas naiv war. Waren Sie erschreckt, als mit „Willkommen bei den Hartmanns“ein Film mit ähnlicher Thematik in die Kinos kam? HÜBNER Das war ein Zeichen dafür, dass der Stoff reif ist. Und auch dafür, dass Deutschlan­d das Thema nicht so sehr beschwert, dass man darüber keine Komödie mehr machen könnte. Das ist ein gutes Zeichen. Natürlich haben wir den Film gesehen, dabei aber schnell gemerkt, dass er ganz anders verfährt, denn in dieser Geschichte gibt es ja einen Flüchtling. Der Schwerpunk­t liegt also in der direkten Auseinande­rsetzung mit einem Zuwanderer, der zum Katalysato­r für Veränderun­gen in einer Familie wird. Bei unserer Geschichte weiß man nicht, wie die Figuren sich verhalten würden, wenn tatsächlic­h ein Flüchtling einzieht. Das erfahren wir im nächsten Stück? HÜBNER In der nächsten Folge – aber die gibt’s im Theater ja nicht.

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FOTO: RABSCH Die Autoren Sarah Nemitz und Lutz Hübner (r.) mit dem Regisseur ihres neuen Stückes, Sönke Wortmann.

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