„Wir wollten kein Betroffenheitstheater“
Das Autorenteam Hübner-Nemitz hat eine Komödie über eine WG geschrieben, in die ein Flüchtling einziehen soll. Sönke Wortmann inszeniert.
Lutz Hübner und Sarah Nemitz leben und arbeiten gemeinsam in Berlin und gehören zu den produktivsten Dramatikern der Gegenwart. Zu ihren bekanntesten Stücken zählt „Frau Müller muss weg“, das der Regisseur Sönke Wortmann erfolgreich verfilmt hat. Auch ihr aktuelles Werk, „Willkommen“wird Wortmann inszenieren – am Schauspielhaus. Es spielt in einer Düsseldorfer WG, die vor der Frage steht, ob sie ein frei werdendes Zimmer an einen Flüchtling vergeben soll. In Ihrem Stück ist noch gar kein Flüchtling eingezogen – doch eine langjährige Wohngemeinschaft gerät in Spannungen. Warum hat Sie das Thema Zuwanderung gereizt? HÜBNER Wir wollten kein Betroffenheitstheater, wollten auch nicht die Schicksale von Flüchtlingen auf die Bühne bringen, sondern möglichst nah ran an die Haltungen in der deutschen Gesellschaft. Wir wollten untersuchen, wie weit der Einzelne zu gehen bereit ist, wenn das Thema Zuwanderung ihm ganz nah kommt und sogar in seinen privaten Bereich vordringt. Wie werden aus Positionen in den aktuellen Debatten lebendige Figuren für die Bühne? NEMITZ Wir verfolgen die aktuellen Debatten, erleben, was im Familienund Freundeskreis gesprochen wird und formen daraus unsere Figuren. Das sind anfangs kleine Frankensteine, aber die bekommen schnell ein Eigenleben und eine innere Logik, der man dann nur noch folgen muss. HÜBNER Sie wehren sich dann auch gegen bestimmte Sätze, die ihrem Charakter widersprechen würden. Man kann ihnen nicht mehr alles aufsatteln. Wir legen unsere Figuren immer dialektisch an. Es gibt nicht den einen Schurken, der alles sabotiert, jede Figur vereint viele Widersprüche. Wir schreiben auch relativ ausführliche Figurenprofile, in denen die Vorleben, frühere Konflikte und Beziehungen der Figuren festgehalten sind. So haben wir zu jeder Person so viel Futter, dass wir wis- sen, warum sie im Stück wie reagiert. Teilen Sie die Figuren auf? HÜBNER Nein. Das ist eher so ein Ping-Pong-Spiel. Ich schreibe zum Beispiel einen Dialog und schicke ihn Sarah, die arbeitet daran weiter und sendet wieder an mich. Das geht so lange, bis wir finden, dass eine Szene den richtigen Flow hat. „Frau Müller muss weg“ist ja sehr erfolgreich verfilmt worden. Haben Sie auch mal Lust, direkt für den Film zu schreiben? HÜBNER Eigentlich sind wir Theaterpferde, aber natürlich ist es reizvoll, mal in den anderen Stall zu blicken, da gibt es schon Überlegungen. NEMITZ Im Film hat man ein breiteres Spektrum, mit Bildern zu erzählen, was ich sehr reizvoll finde. Im Theater muss alles über den Dialog laufen, der Fokus ist anders. HÜBNER Und die Ökonomie ist anders: Im Film kann man verschwenderischer mit Figuren umgehen, auf der Bühne sollte jeder Darsteller schon ein bisschen was zu sagen haben, sonst lohnt sich die Figur ja nicht. Da denken wir beide schon noch wie Schauspieler, die wir ja beide einmal waren. In „Willkommen“gibt es eine Figur, die anfangs über einen Flüchtling als möglichen Mitbewohner nicht mal diskutieren will. Ist das eine legitime Position? HÜBNER Die Figur begründet das später damit, dass sie mit arabischen Männern ein Problem hat. Es ging uns also um die Frage der Selbstzensur. Wie geht jemand damit um, wenn er berechtigt oder nicht, gegen sozial erwünschte Positionen verstößt? Was macht er mit seinen Bauchgefühlen? NEMITZ Natürlich ist es legitim, wenn jemand über das Thema nicht diskutieren will. Und es ist auch legitim, wenn eine Frau mit einem bestimmten Männertypus ein Problem hat. Schwierig wird es für mein Empfinden, wenn jemand sagt, er will sich mit dem gesamten Thema nicht befassen. Wie blicken Sie auf die erste Euphorie in Deutschland, als Flüchtlinge an Bahnhöfen freudig begrüßt wurden? HÜBNER Ich bin immer noch dankbar für diese Euphorie, auch wenn gleich klar war, dass es dabei nicht bleiben würde. Der erste Reflex war moralisch richtig. Natürlich war er auch naiv, aber das sind hohe moralische Positionen immer. Wenn in anderen europäischen Ländern jetzt ernsthaft überlegt wird, Flüchtlinge von vornherein in Schutzhaft zu nehmen, dann ist das doch beschämend. NEMITZ Im Nachhinein ist es immer sehr leicht zu sagen, dass etwas naiv war. Waren Sie erschreckt, als mit „Willkommen bei den Hartmanns“ein Film mit ähnlicher Thematik in die Kinos kam? HÜBNER Das war ein Zeichen dafür, dass der Stoff reif ist. Und auch dafür, dass Deutschland das Thema nicht so sehr beschwert, dass man darüber keine Komödie mehr machen könnte. Das ist ein gutes Zeichen. Natürlich haben wir den Film gesehen, dabei aber schnell gemerkt, dass er ganz anders verfährt, denn in dieser Geschichte gibt es ja einen Flüchtling. Der Schwerpunkt liegt also in der direkten Auseinandersetzung mit einem Zuwanderer, der zum Katalysator für Veränderungen in einer Familie wird. Bei unserer Geschichte weiß man nicht, wie die Figuren sich verhalten würden, wenn tatsächlich ein Flüchtling einzieht. Das erfahren wir im nächsten Stück? HÜBNER In der nächsten Folge – aber die gibt’s im Theater ja nicht.