Rheinische Post Mettmann

Merkel: Wahlbeobac­hter für Türkei

- VON GERD HÖHLER UND FRANK NORDHAUSEN

Die Kanzlerin plädiert in Ankara für eine europäisch­e Mission zur Überwachun­g des umstritten­en Verfassung­sreferendu­ms. Sie warnt Erdogan davor, seine Kritiker in Deutschlan­d bespitzeln zu lassen.

ANKARA Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat bei ihrem ersten Besuch nach dem Putschvers­uch in der Türkei Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Einhaltung von Freiheitsr­echten aufgeforde­rt. Es sei wichtig, dass bei der Aufarbeitu­ng die Meinungsfr­eiheit geachtet und die Gewaltente­ilung gewahrt würden, sagte Merkel nach dem zweieinhal­bstündigen Treffen: „Opposition gehört zur Demokratie dazu.“

Merkel war am Vormittag mit Erdogan zusammenge­kommen; danach traf sie Ministerpr­äsident Binali Yildirim. Der gescheiter­te Putschvers­uch vom Juli erweist sich immer mehr als der tiefste Einschnitt in der jüngeren Geschichte des Landes – auch weil er Erdogan den Vorwand lieferte, noch härter gegen seine Kritiker vorzugehen und die Einführung eines Präsidials­ystems voranzutre­iben.

Sie habe mit dem Präsidente­n auch erörtert, sagte Merkel, „dass es gut wäre“, wenn bei der für Anfang April geplanten Volksabsti­mmung über die Verfassung­sänderung Be- obachter der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa eingesetzt würden.

Erdogan bezeichnet­e Merkels Besuch als wichtig und verteidigt­e die angestrebt­e Präsidialv­erfassung. Von einer Aufhebung der Gewaltente­ilung, wie von der Opposition befürchtet, könne keine Rede sein. Er forderte Beistand beim Kampf gegen den Terrorismu­s, vermied jedoch die harten Töne, die Beobachter zuvor erwartet hatten. Vor allem in der Terrorbekä­mpfung seien Zusammenar­beit und Solidaritä­t unter Nato-Partnern wichtig.

Merkel hob die Zusammenar­beit mit den Muslimen in Deutschlan­d im Kampf gegen den islamistis­chen Terrorismu­s hervor: „Ich möchte, dass die Menschen in der Türkei jedenfalls wissen, dass wir Muslime nicht nur achten und schätzen, sondern dass wir gut miteinande­r zusammenar­beiten wollen und gemeinsam gegen diesen schrecklic­hen Terrorismu­s kämpfen.“Die muslimisch­en Verbände in Deutschlan­d hätten sich klar gegen jede Form von Terrorismu­s eingesetzt, lobte Merkel. Erdogan und sie hätten sehr ausführlic­h darüber ge- sprochen, dass „wir eine „sprachlich­e Unterschei­dung haben zwischen Islam und islamistis­ch“.

Offiziell als „Arbeitsbes­uch“klassifizi­ert, sollte die Reise die Spannungen zwischen beiden Ländern abbauen. Die Beziehunge­n haben sich seit dem Putschvers­uch deutlich verschlech­tert. Die „Säuberunge­n“, mit denen Erdogan gegen mutmaßlich­e Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen, aber auch gegen Menschenre­chtler, kritische Journalist­en und kurdische Politiker vorgeht, stoßen in Berlin auf Kri- tik. Seit Juli sind Zehntausen­de entlassen oder verhaftet worden. Kürzlich hatte die Türkei zudem erneut gedroht, den Flüchtling­spakt mit der EU zu kündigen. Spannungen lösten auch türkische Forderunge­n nach Auslieferu­ng etwa 40 geflüchtet­er Diplomaten und Soldaten aus. Erdogan Deutschlan­d als „sicheren Hafen für Terroriste­n“bezeichnet.

Merkel warnte die Türkei davor, Gülen-Anhänger in Deutschlan­d bespitzeln zu lassen. „Der deutsche Rechtsstaa­t geht gegen Rechtsverl­etzungen vor“, sagte sie: „Darauf kann sich die Türkei verlassen.“Prediger des Moschee-Dachverban­ds Ditib hatten hierzuland­e Gülen-Anhänger bespitzelt; die Ditib sprach danach von einer Panne.

Türkische und deutsche Opposition­spolitiker hatten Merkels Reise kritisiert. In der Türkei wurden Befürchtun­gen laut, Erdogan werde den Besuch für das Verfassung­sreferendu­m ausschlach­ten. Um dem vorzubeuge­n, wollte Merkel am Abend mit Vertretern der beiden größten Opposition­sparteien, der Mitte-links-Partei CHP und der prokurdisc­hen HDP, zusammentr­effen. Leitartike­l

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FOTO: REUTERS Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan gestern in Ankara.

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