Germaine Acogny malt mit ihrem tanzenden Körper
Eher selten kommt es vor, dass im Tanzhaus NRW eine Choreographie mit präziser Längenangabe angekündigt wird. Bei „Mon Élue Noire“sind das genau 37 Minuten. Die Zeitvorgabe entspricht einer großen Ballettmusik. So lange dauert Igor Strawinskys vor über hundert Jahren komponiertes Stück „Le sacre du printemps“. Und genau so lange ist auf der großen Bühne des Tanzhauses Germaine Acogny zu erleben, eine der großen Figuren des afrikanischen Tanzes. Bereits Maurice Béjart hatte seiner „Schwarzen Auserwählten“in den siebziger Jahren versprochen, für sie eine „Sacre“-Choreographie zu schreiben. Der französische Titel des Abends nimmt hierauf Bezug. Fast 40 Jahre später, Germaine Acogny ist mittlerweile über 70 Jahre alt, wird sie jetzt von Olivier Dubois mit der überfälligen Hommage geehrt.
Der Direktor des französischen „Ballet du Nord“, selbst ein berühmter Tänzer, macht aus dem musikalischen „Frühlingsopfer“eine tänzerische Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Exotismus. Er sperrt Acogny in eine tief dunkle Kiste. Dort genießt sie zunächst ihr Markenzeichen aus vielen früheren Auftritten: eine glimmende Pfeife. Um dann ihren erstaunlich muskulösen Körper in eine Furie zu verwandeln, eine tanzende Lokomotive mit Kolbenarmen. Lachend amüsiert sich die Tänzerin über die traditionelle Opferrolle ihres Kontinents, indem sie aus Aimé Césaires „Discours sur le colonialisme“von 1950 zitiert. Dort heißt es, dass der Kolonialist darüber, dass er gezwungen war, im Sklaven ein Tier zu sehen, selbst zu einem Tier werden musste. In den 37 Minuten ihres Auftritts macht Germaine Acogny aus dem Bühnenkäfig eine Kraftstation des Widerstands. Schwarz und Weiß als soziale Kontrapunkte? Lächerlich. Der dunkle BH auf dunkler Haut wird durch ein weißes Teil ersetzt, und schon kleckst die Tänzerin mit der Farbe Weiß launische Muster an die Kistenwände. Zum Applaus nach dem kurzen, gleichwohl hinreißenden Tanzabend erscheint sie im schwarzen, weißbefleckten Blaumann. Große Begeisterung.
Germaine Acogny wurde 1944 in Benin geboren und wuchs im Senegal auf. Nach künstlerischen Lehrund Wanderjahren gründete sie zusammen mit ihrem Ehemann Helmut Vogt die „Écoles des Sables“nahe Dakar. Sie gilt heute als die wichtigste professionell ausgerichtete Tanzschule auf dem afrikanischen Kontinent.