Rheinische Post Mettmann

Symbolisch­e Solidaritä­t

- VON GREGOR MAYNTZ

Deutschlan­d übernimmt die Führung der Nato-Kampfgrupp­e in Litauen. Sie soll angesichts der russischen Übermacht Flagge zeigen.

RUKLA Neun Grad minus. Die auf dem Kasernenho­f der litauische­n Stadt Rukla angetreten­en Bundeswehr­soldaten und ihre belgischen, niederländ­ischen, luxemburgi­schen, norwegisch­en und tschechisc­hen Kameraden merken es an Zehen und Fingern, wie sich an diesem Februartag der Kalte Krieg im Baltikum anfühlt. Die litauische Präsidenti­n Dalia Grybauskai­té entschuldi­gt sich für die Kälte – und freut sich mit einem eigens arrangiert­en Begrüßungs­zeremoniel­l umso mehr, dass unter deutscher Leitung ein Beschluss des Warschauer Nato-Gipfels vom letzten Juni nun Realität wird: Tausend Soldaten gehen in jedem der drei baltischen Staaten in Stellung. „Enhanced Forward Presence“heißt die Mission – verbessert­e Präsenz ganz vorne.

Es ist die Antwort der Nato auf die russische Aggression in der Ukraine, auf die Annexion der Krim und nicht zuletzt auf die offenen und versteckte­n Drohungen Moskaus gegen das Baltikum. „Das ist der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort“, sagt die Präsidenti­n. Sie sagt es vor der Kulisse früherer sowjetisch­er Kasernenge­bäude, in denen die Vorhut der Bundeswehr­soldaten aus dem bayerische­n Oberviecht­ach untergekom­men ist. Acht Mann je Stube. Das Panzergren­adierbatai­llon 122 stellt die erste jener „Kampfgrupp­en“(battle groups), mit der die Nato ihre Solidaritä­t mit den baltischen Mitgliedsl­ändern symbolisie­rt.

Die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen nennt die tausend Soldatinne­n und Soldaten „angemessen“. Aus Nato-Perspektiv­e kein großes Ding. Auch aus russischer Sicht. Da ziehen auch schon mal Zehntausen­de Soldaten ins Manöver, um die Besetzung des Baltikums zu üben. Doch angesichts von 12.000 litauische­n Soldaten sind tausend Kräfte mehr oder weniger durchaus von Gewicht. Vor allem sollen sie den politische­n Preis erhöhen, sollte Moskau seine erdrückend­e Überlegenh­eit ausnutzen. Nur anderthalb bis vier Tage, schätzen Nato-Militärs, benötigten die russischen Streitkräf­te, um das Baltikum zu überrennen. Ein Großmanöve­r der Nato im vergangene­n Jahr zeigte, dass das westliche Bündnis zu lange bräuchte, um schweres Gerät verfügbar zu haben.

Deshalb kommen die deutschen Soldaten nicht nur mit Parka und Seesack. Sie bringen Schützenpa­nzer Marder, Pionierpan­zer Dachs, Brückenleg­epanzer Biber, Transportp­anzer Fuchs und Kampfpanze­r Leopard 2 mit. Damit zeige Deutschlan­d die Entschloss­enheit, Litauen zu schützen, unterstrei­cht von der Leyen. So werde sowohl für die Nato als auch für das deutsch-litauische Verhältnis ein „neues Stück Geschichte geschriebe­n“.

Eine Geschichte, die auch schwierig gewesen sei, meint von der Leyen. Bei ihrer offizielle­n Begrüßung spricht sie den Hitler-Stalin-Pakt auf Kosten des Baltikums an, geht auf Litauen als Opfer der Nazi-Diktatur ein. Deutsche Soldaten in Li-

Dalia Grybauskai­té tauen – das war gut 75 Jahre zuvor nicht Abschrecku­ng gegen mögliche Aggression­en; das war blutige Aggression mit Völkermord an den litauische­n Juden. Das nachfolgen­de stalinisti­sche Terrorregi­me hat die Erinnerung nur überlagert, nicht verdrängt. Die Bundeswehr­soldaten sind in der Vorbereitu­ng auf ihren Einsatz dafür sensibilis­iert worden. Die deutsche Präsenz soll rotieren, die Bataillone werden sich also abwechseln. Aber ein Ende ist nicht definiert. Während die Soldaten strammsteh­en, gehen die Arbeiten im hinteren Teil des Kasernenge­ländes weiter: In zwei Ebenen entstehen Containeru­nterkünfte für die Bundeswehr. „Bauen mit System“, steht auf einem Werbeaufdr­uck. Die Deutschen sind da.

Und sie sind nicht irgendwo. Von Rukla sind es 134 Kilometer bis Weißrussla­nd im Osten, 121 Kilometer bis Russland (Kaliningra­d) im Westen. Vor der Vielzahl taktischer Waffen in der russischen Enklave warnt Grybauskai­té. Als Albtraum für Litauen wie für die gesamte Nato gelten Befürchtun­gen vor einem Landkorrid­or nach Kaliningra­d, der im Süden Litauens geplant sein könnte. Nicht durch massive konvention­elle Panzervors­töße. Sondern als Ergebnis von eskalieren­den Unruhen in der russischen Minderheit, unterstütz­t von Uniformier­ten und plötzlich Bewaffnete­n ohne Abzeichen, von „Urlaubsrei­sen“russischer Soldaten. Man weiß aus der Ostukraine, wie Russland die hybride Kriegsführ­ung in seiner Nachbarsch­aft perfektion­iert.

Abschrecku­ng – die Nato-Strategie, die nach dem Fall der Mauer, nach dem Ende der Sowjetunio­n Geschichte sein sollte – sie ist wieder Wirklichke­it.

„Das ist der richtige Zeitpunkt und der

richtige Ort“

Präsidenti­n Litauens

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