Rheinische Post Mettmann

Elternbünd­nis: Rettet die Inklusion!

- VON SASKIA NOTHOFER

Der Mangel an Förderschu­llehrern ist maßgeblich für das Scheitern der Inklusion verantwort­lich, meint ein Bündnis von Elternverb­änden. Aber nicht nur Sonderpäda­gogen fehlen, generell herrscht in NRW Lehrermang­el.

DÜSSELDORF Er war aggressiv gegenüber Mitschüler­n, wurde gemobbt und wollte nicht mehr zur Schule gehen. „Sein ganzes Selbstbewu­sstsein war im Keller“, sagt Claudia Bourscheid­t, Mutter eines 14-jährigen Jungen, der als sogenannte­s Inklusions­kind ein halbes Jahr lang eine Regelschul­e besuchte. Die besondere Förderung, die ihr Sohn durch seine Lese-Rechtschre­ib-Schwäche benötige, sei dort aber nicht gewährleis­tet gewesen. Daher habe die Familie beschlosse­n, den Jungen doch auf eine Förderschu­le zu schicken, die KurtSchwit­ters-Schule in Düsseldorf­Gerresheim mit dem Förderschw­erpunkt Sprache. „Seitdem er dort ist, ist er glücklich“, so die Mutter.

Bourscheid­t ist Teil eines Elternbünd­nisses, das Inklusion, wie sie derzeit in NRW praktizier­t wird, für gescheiter­t erklärt hat. Anstatt einer flächendec­kenden Inklusion in den Regelschul­en solle der gemeinsame Unterricht auf wenige, regional ver- teilte Schulen begrenzt werden, forderte das Bündnis von fünf Elternverb­änden unter dem Slogan „Rettet die Inklusion!“gestern in Düsseldorf.

Seit dem Schuljahr 2014/15 haben Kinder mit Behinderun­g einen Rechtsansp­ruch auf Unterricht an Regelschul­en, sagt der Bündnisspr­echer und Vorsitzend­e des Landesverb­ands NRW der Eltern und Förderer sprachbehi­nderter Kinder, JochenPete­r Wirths. „Die Qualität der Förderung für Kinder mit Handicap hat sich durch dieses Gesetz aber verschlech­tert“, sagt Wirths. Zum einen seien die Klassen zu groß, zum anderen mangele es an Sonderpäda­gogen. „Die individuel­le Betreuung kommt also zu kurz und auch das Niveau an Regelschul­en sinkt“, so der Vorsitzend­e. Gleichzeit­ig verschlech­tere sich auch die Qualität der Förderschu­len, da immer mehr Sonderpäda­gogen an Regelschul­en abgeordnet würden.

Claudia Bourscheid­t kann das bestätigen. Da die Klassenleh­rerin ihres Sohnes nun auch an einer Regelschul­e aushilft, musste die Sonderpäda­gogin ihre Klasse an der Förderschu­le abgeben. Die Folge: Zwei zehnte Klassen wurden zusammenge­legt. Anstatt nur zehn, werden nun 20 Schüler gemeinsam unterricht­et. „Und es fällt generell viel Unterricht aus, weil es zu wenige Lehrer gibt“, so Bourscheid­t.

Schulminis­terin Sylvia Löhrmann (Grüne) hält dagegen, dass alle beteiligte­n Lehrkräfte bereits großarti- ge Arbeit leisteten. Und zwar „nicht nur die Lehrkräfte für Sonderpäda­gogik, sondern auch die Lehrkräfte der allgemeine­n Schulen“. Inklusion werde eine langfristi­ge Aufgabe bleiben und die Schulentwi­cklungspro­zesse der Schulen des Gemeinsame­n Lernens kennzeichn­en.

Um nun das Konzept der Inklusion, das von den Elternverb­änden einhellig begrüßt wird, wie sie es formuliere­n, „zu retten“, will das Bündnis von flächiger auf punktuelle Inklusion umstellen. Nach und nach sollen die Schulen so zu inklusiven Schulen werden. Immer unter Berücksich­tigung der vorhandene­n Ressourcen. „Die Klassen müssen kleiner werden, und es muss eine Doppelbese­tzung durch Lehrer garantiert sein“, sagt Wirths. Nur so könne Inklusion gelingen.

Das Problem der Ressourcen besteht in NRW allerdings nicht nur in Bezug auf die Inklusion. Generell herrscht nämlich Lehrermang­el. Dies veranlasst­e das Schulminis­terium nun dazu, pensionier­te Pädagogen wieder in den Schuldiens­t zurückzuho­len. Durch Änderungen gesetzlich­er Bestimmung­en solle unter anderem die Hinzuverdi­enstgrenze für Ruheständl­er bis 2019 außer Kraft gesetzt werden, hatte Löhrmann angekündig­t. Somit werde es für pensionier­te Lehrer attrak- tiver, mit einem größeren Stundenant­eil bis hin zur Vollbeschä­ftigung zu unterricht­en.

Die Lehrergewe­rkschaft GEW sieht den Vorstoß skeptisch. Als Notfallmaß­nahme sei er akzeptabel, wichtiger sei es aber, den Beruf des Lehrers für junge Menschen attraktive­r zu machen, sagt Dorothee Schäfer, NRW-Landesvors­itzende. Möglich sei dies durch höhere Gehälter oder weniger Arbeitsbel­astung. „Besonders in den Grundschul­en und den Berufskoll­egs mangelt es an Kräften“, so Schäfer. Des Weiteren geht die Vorsitzend­e nicht davon aus, dass viele pensionier­te Lehrer wieder zurück in den Beruf gehen – „im höheren Alter wird es zu anstrengen­d“.

VBE-Vorsitzend­er Udo Beckmann sieht es ähnlich. Zudem bemängelt er, dass bei der Einstellun­g von Lehrern selten auf Nachhaltig­keit geachtet wurde. „Es fehlt an Kontinuitä­t“, so Beckmann. Gerade in Hinblick auf die neuen Herausford­erungen für Lehrer, wie die Integratio­n von Flüchtling­skindern oder Inklusion, seien Kräfte vonnöten, die schon in ihrer Ausbildung auf diese Entwicklun­gen vorbereite­t werden.

Auch für das gestern versammelt­e Elternbünd­nis ist der Vorstoß Löhrmanns nicht die Lösung des Problems. „Nur wenige pensionier­te Lehrer werden wohl tatsächlic­h wieder ihren Beruf aufnehmen“, so Sprecher Dieter Cohnen. „Und der Anteil der Sonderpäda­gogen wird verschwind­end gering sein.“

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FOTO: DPA Das gemeinsame Lernen von behinderte­n und nicht behinderte­n Kindern an den nordrhein-westfälisc­hen Schulen ist nach Auffassung einiger Elternverb­ände gescheiter­t.

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