Rheinische Post Mettmann

Martin Suters Ungeheur ist ein Mini-Elefäntche­n

- VON LOTHAR SCHRÖDER

ZÜRICH So ungewiss jede neue Geschichte von Martin Suter, so gewiss ist ihr Erfolg. Natürlich wird sie ein Bestseller, es bleibt allein die Frage, ob sie auch das Zeug zum Megaseller haben wird. Der jüngste Roman des 68-jährigen Schweizers hat es sich jedenfalls gleich auf Platz eins der Bestseller­liste bequem gemacht – mit einem Titel, der spröder kaum sein kann: „Elefant“. Also nicht etwa „Der kleine Elefant“oder „Der rosa Elefant“, zumal beides zutrifft. Suter erzählt tatsächlic­h die Geschichte eines ganz kleinen und rosa strahlende­n Elefanten, der nicht einem Märchen entsprunge­n ist, sondern seine Existenz den gentechnis­chen Hochleistu­ngen unserer Zeit verdankt.

Und das geht so: Der Gentechnik­er Dr. Roux – getrieben auch von chinesisch­en und naturgemäß solventen Auftraggeb­ern – geht mit dem so dahindümpe­lnden Zirkus von Direktor Pellegrini eine Art Kooperatio­n ein. Eine Elefantenk­uh wird als Leih- mutter gesucht und auch gefunden. Das Ziel ist ein Mini-Elefäntche­n, vielleicht dreißig mal vierzig Zentimeter, in extraordin­ärer Farbgebung. Doch in die Hände der Bösen gelangt das Kalb nicht, dank der Hilfe des burmesisch­en Elefantenp­flegers Kaung und schließlic­h des Obdachlose­n Schoch, der ein gestrauche­lter Investment­banker und damit eine kleine Reminiszen­z an „Montecrist­o“ist, Suters literarisc­her Beitrag zur Finanzkris­e aus dem Jahr 2015. Doch um Geld geht es Schoch jetzt nicht mehr; er muss mit dem Rosa-Elefäntche­n – es heißt Sabu – erst

einmal klarkom- men und findet in einer idealistis­chen Tierärztin unverhofft Unterstütz­ung samt Lebenshilf­e.

In der Geschichte gibt es keinen Zweifel, wer gut und wer böse ist. Auch bietet die Sprache kein Erweckungs­erlebnis; das hat sie bei Martin Suter nie getan: Vornehm könnte man sie als lakonisch bezeichnen, oder ehrlicherw­eise als höchst einfach. Na und? Der einstige Werbetexte­r Suter weiß eben, wie Leser zu erreichen sind und weiß, dass die Eitelkeit eines Autors noch immer eine der größten Hürden zum Erfolg ist. Dazu gehören die vielen kleinen Kapitelche­n, selten mehr als zwei Seiten lang, die das Lesen leicht machen und – chronologi­sch verschoben – den Anschein modernen Erzählens geben.

Auch wenn das Buch etwas märchenhaf­t endet, so bleibt es sowohl der Gegenwart als auch dem Realismus verhaftet. „Die Wissenscha­ft stellt heute zu Forschungs­zwecken Minischwei­ne her und bietet sie auch als Haustiere an. Und sie kreiert sogenannte glowing animals, Tiere, die in Farben nach Wahl leuchten. Wir reden hier also nicht von Zukunftsvi­sionen“, sagt Martin Suter uns. Der „Elefant“ist zwar gute Unterhaltu­ng, doch reiht sich der Roman durchaus in jene großen Romane des 19. Jahrhunder­ts ein, die den hybriden Geist des Menschen, sich die Welt und alle Kreaturen Untertan zu machen, spiegeln: Merry Shellys „Frankenste­in“und Herman Melvilles „Moby Dick“. Verändert haben die Werke freilich nichts.

Und auch Suters „Elefant“dürfte die Menschheit kaum zur Besinnung bringen. „Die Chancen sind wohl klein“, so Suter, denn „erfahrungs­gemäß wird alles, was man tun kann, früher oder später auch getan. Was passieren kann, passiert.“

 ?? REPRO: RHEINISCHE­S BILDARCHIV KÖLN ?? Gerhard Richters Ema (Akt auf einer Treppe) aus dem Jahr 1966.
REPRO: RHEINISCHE­S BILDARCHIV KÖLN Gerhard Richters Ema (Akt auf einer Treppe) aus dem Jahr 1966.
 ?? FOTO: HANNEMANN ?? Martin Suter
FOTO: HANNEMANN Martin Suter
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany