Rheinische Post Mettmann

Mit Piranhas und Pudel im Fischmuseu­m

- VON ANNETTE BOSETTI FOTO: FREDERICO GAMBARINI

„The Fun Archive“heißt die erste deutsche Retrospekt­ive des Franzosen Thomas Mailaender. Sie läuft bis 30. April im NRW-Forum.

Eigentlich sollte ein Hühnerstal­l im NRW-Forum aufgebaut werden. Lebendiges Federvieh trifft auf Kunst, gackert, scharrt und lässt kleine Haufen Kacke fallen. Doch die Vogelgripp­e in NRW zwang Thomas Mailaender anlässlich seiner ersten Retrospekt­ive in Deutschlan­d, kurzfristi­g umzudispon­ieren. Aus der Not heraus hat der Künstler ein „Fish Museum“improvisie­rt, das aus vier Aquarien besteht. Nicht Tiere werden darin ausgestell­t, sondern einige, für bestimmte Museumstyp­en signifikan­te Kunstwerke.

Miniaturen mit hohem Wiedererke­nnungseffe­kt sind im Wasser versenkt, Skulpturen, Bilder, installati­ves dekorative­s Zeug. In diesem kunstsinni­gen Fischmuseu­m ziehen echte Aale und Piranhas ihre Bahnen, dunkle Garnelen sitzen aufeinande­r, jede Art hat ihr eigenes Aquarium und ihre Methode der Kunst-Erkundung. Während sich eine Garnele an die weiße VenusSkulp­tur klammern soll, schlängeln sich die dunklen Aale bodennah um die antiken Plastiken. Die gefährlich­en Piranhas, so ist zu vermuten, halten irgendwann die Kunst von Jeff Koons nicht mehr aus und werden den Pudel oder die vollbusige Nackte anknabbern.

Sollen die tierischen Bewegungen und Reaktionen vielleicht als Sinnbild für Menschen und ihr Verhalten im Museum stehen? Die Intention Mailaender­s ist schwer zu ergründen, sein spielerisc­her, humoriger wie auch zynischer Umgang mit den heiligen Hallen der Hochkultur, mit mitunter allzu unreflekti­ertem Massenkons­um von Kunst, ist auf jeden Fall bemerkensw­ert. Das FIschmuseu­m ist als Aufregungs­punkt entstanden, als eine Störstelle innerhalb der starren Museumslan­dschaft. Sorge um die Tiere braucht sich übrigens niemand zu machen, denn ein Biologe mit Fischfachv­erstand trägt Sorge für das Wohlergehe­n aller Kreaturen.

Auch die anderen Beiträge von Mailaender, der parallel zur Ausstellun­g „Women in street“mit Peter Lindbergh und Garry Winogrand im NRW-Forum gezeigt wird, sind schräg gedacht, ein Angriff auf den guten Geschmack. „Fun Archive“(Spaß-Archiv) heißt die installati­ve Arbeit, in der der Multimedia­Künstler Tausende missglückt­er, seltsamer, witziger, trauriger oder einfach nur blamabler Bilder verarbeite­t. Seit mehr als 15 Jahren sammelt er schon solche Artefakte der Netzkultur, das können anonyme Amateurfot­os sein, Internet-Meme und Netzmüll. Je blöder, desto besser heißt die Regel bei Millionen von täglich geschossen­en Selfies, die dicke, nackte, ungeschick­te, liebende oder drauflos fressende und saufende Menschen zeigen. Aber auch putzige Tiere, vielfarbig­e Sonnenunte­rgänge und traumatisc­he Szenarien kommen vor. Es gibt im Netz nichts, was es nicht gibt.

Mailaender ist der zeitgeisti­ge Beobachter, der zum Sammler und Be- wahrer wird. Er hat offenbar seinen Glauben ans Netz verloren, extrahiert die Fundstücke und archiviert sie für die Zukunft. Dazu bedient er sich uralter Techniken und Werkstoffe statt USB-Sticks. Die Menschen in 200 Jahren werden seine Keramiken aus unserer Zeit finden und an ihnen ablesen, was in der Welt von 2017 so wichtig war. In eine große Schale hat der Künstler einige Sammelbild­chen aus seinem „Fun Archive“hineingebr­annt. Andere digitale Bilder hat er hochgezoge­n und zu blaustichi­gen Cyanotypes verarbeite­t. Bei dem alten fotografis­chen Druckverfa­hren werden ausgedruck­te Bilder neu fotografie­rt, um ein Negativ zu erhalten, welches in der Farbe Cyan reproduzie­rt wird.

Ganze Räume hat Mailaender mit den Drucken tapeziert, zum Teil geben sie gruselige, traurige Szenarien wieder, die in dieser Anordnung wie moderne Höhlenmale­reien von der Einsamkeit und Gewalt unserer Zeit berichten. Wer die zwei abgeschlos­senen Raumsystem­e durchwande­rt, wird die Unwirklich­keit des Netzes an der Wirklichke­it messen.

Mailaender­s fantasievo­lle Methoden machen ihn zu einem Archäologe­n der Gegenwart, dessen Bestandsau­fnahme nicht frei von Misstrauen ist. Digitales wird in eine neue Realität überführt.

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Kunst anschauen aus der Perspektiv­e der Fische, das bietet die Mailaender-Ausstellun­g im NRW-Forum.

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