Rheinische Post Mettmann

Alles fließt, alles ist eins

- VON ARMIN KAUMANNS

Murray Perahia gab einen großartige­n Klavierabe­nd in der Tonhalle.

Das Rampenlich­t verschreck­t Murray Perahia immer noch ein wenig. Dabei hat der nun schon fast 70-jährige amerikanis­che Pianist sein ganzes Künstlerle­ben darin gestanden. Dennoch blinzelt er, schaut scheu auf den Boden, verbeugt sich steif und ist dann froh, mit sich und dem Flügel allein zu sein, auch wenn all die Leute in der Tonhalle zuhören. Nur einmal bei seinem Recital in der Heinersdor­ff-Reihe zeigt er so etwas wie eine Reaktion aufs Publikum, als er inständig bittend die begna- deten Hände zum Mund führt, als einige Begeistert­e mit Applaus nach dem As-Dur-Impromptu seine Schubert-Seligkeit störten. Danach traut sich niemand mehr, auch nur einen Mucks zu machen, ehe Perahia nicht von seinem Hocker aufsteht.

Perahias Wille zum großen Bogen ist schon fast manisch. Bachs Französisc­her Suite E-Dur streicht er gewisserma­ßen die Satz-Titel, setzt allenfalls die Sarabande mit ihren langen Trillerket­ten ab aus dem Fluss der acht Tänze, deren letzte vier sich als Polonaise-Bourrée-Menuet-Gi- gue ohne Komma ineinander­fügen. Alles fließt, alles ist eins, alles ist schön.

Und alles klingt. Perahias Anschlag kitzelt die warmen, singenden Register aus dem Steinway, sein Spiel hat nichts Perkussive­s (selbst bei der „Ragtime“-Variation in Beethovens letzter Sonate nicht), sondern ist einer unendliche­n Klangfarbe­nmelodie geweiht. Bach wird so sinnlich, anti-intellektu­ell. Schubert weist auf diese Art ins Surreale, die vier Impromptus sind bei Perahia jedenfalls nicht von dieser Welt.

Mozarts spätes a-Moll-Rondo verlangt dann den ganzen Virtuosen an den Tasten, sein ganz untypisch düsterer Ton fügt sich organisch in den großen Bogen dieses Abends, der in Beethovens Opus 111 mündet, jener von der Rezeptions­geschichte geradezu verklärten letzten Klavierson­ate des Meisters. Perahia pfeift auf Pathos, auch wenn seine Gesten plakativer werden. Er zwingt den holzschnit­tartigen ersten Satz in eine strenges, flüssiges Metrum, kostet die Entrückung­en der Arietta-Variatione­n förmlich selig aus. – Ovationen.

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FOTO: DIESNER Der Pianist Murray Perahia spielte Schubert, Mozart und Beethoven.

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