Rheinische Post Mettmann

Aggro ist tot

- VON HENNING RASCHE

Sido kehrt mit Maske ins Stahlwerk zurück. Aber die alten Zeiten sind vorbei.

DÜSSELDORF Ja, echt wahr, er hat sie dabei. Vergoldet ist sie jetzt, oder vielleicht ist sie auch aus purem Gold. Sido ist natürlich so unglaublic­h reich mittlerwei­le, dass er sich das leisten könnte. Früher, zu den guten alten Zeiten, die über diesem Abend liegen wie der Qualm der Joints, war die Maske noch silber. Früher, nach den guten Zeiten, war die Maske verschwund­en und sollte auch nie wiederkomm­en. Und heute, wo die Zeiten nun wirklich seltsam sind, ist sie wieder da, die Maske. Hätte er sie doch bloß vergessen.

Sido ist im Rahmen seiner Liebhaber-Tour am Montag im Stahlwerk aufgetrete­n. Für die „wahren Fans“ist die Reihe gedacht, also kleinere Hallen, mehr Nähe, mehr Gefühl. Nicht mehr als 70 gelangweil­te Minuten, seinen Zögling Estikay, nun ja, B-Tight, Raps aus dem Archiv, und eben diese Maske bringt Sido aber nicht mit nach Düsseldorf. Er wirkt gelangweil­t, überlässt einen nicht unerheblic­hen Teil seines Auftritts seinen beiden Kollegen. Diese beiden Kollegen sind es auch, die nach dem Konzert Autogramme schreiben, nicht etwa Sido. Und so wirkt dieser Auftritt, für den der 36 Jahre alte, zum zweiten Mal verheirate­te Familienva­ter aus dem Einfamilie­nhaus in Berlin angereist ist, wie pure Promotion.

Als Sido noch vor Kurzem mit Kooperatio­nen mit Helge Schneider, Mark Forster und Andreas Bourani die Popwellen des Radios eroberte, schien es, als hätte der Altmeister des Aggro-Raps seine Rolle gefunden. Er hätte sich nicht mehr Sido nennen müssen, sondern einfach Paul Würdig, sein bürgerlich­er Name, weil er in der Bourgeoisi­e an- gekommen war. Heute aber wissen wir: Er hat seine Rolle nicht gefunden. Sein Credo ist der Widerspruc­h, und am liebsten widerspric­ht er sich selbst. Ein Erwachsene­r, der über Jugendprob­leme rappt, ist peinlich, hat er noch auf seinem vorletzten Album „30-1180“gesagt. Heute rappt er wieder über Jugendprob­leme.

Mit „Das goldene Album“, das im November erschienen ist, wollte Sido wieder real werden, wie seine Kollegen sagen. Zurück zu den Wurzeln, zum Straßenrap. Er schreibt eine Ballade aufs Kiffen, er singt über die Probleme mit dem Hartz und dem Arbeitsamt, er beschreibt das Leben eines Gangsters auf der Straße. Aber Sido ist kein Gangster auf der Straße mehr, und er hat offenkundi­g große Schwierigk­eiten, damit zurechtzuk­ommen. Die Jugend endet irgendwann, das weiß jeder, der erwachsen wird. Sich von ihr zu trennen, ist hart, aber unumgängli­ch.

Der Einzige, der das feiert, ist auf Speed und seit drei Tagen wach. Für ihn hätte Sido auch ausschließ­lich „Bilder im Kopf“spielen können.

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FOTO: CAROLINE SEIDEL Sido auf der Bühne.

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