Die Diamanten von Nizza
Sie ließ jetzt schon Ermüdungserscheinungen im Umgang mit Kunden erkennen, hatte die Nase voll von deren Genörgel, ihrer Unentschlossenheit und ihrer Abneigung, genau das zu tun, was man ihnen gesagt hatte. Auch sie war für eine Veränderung bereit. Vielleicht eine Wohnung in New York, mit einem Refugium auf den Bahamas, in das man während der unmenschlich kalten Wintermonate in Manhattan entfliehen konnte. Ein brandneuer Start. Eine Aussicht, die Coco ungeheuer reizvoll fand.
Mit beträchtlicher Abneigung ging Elena an Bord des Flugzeugs, das sie nach Paris und zu ihrem Anschlussflug nach Los Angeles bringen sollte. Sie fühlte sich eindeutig betrogen. Alles, was sie gewollte hatte, war, Zeit mit Sam bei der Erkundung ihres neuen Zuhauses zu verbringen. Sie hatte sich ausgiebige Schlemmermahlzeiten auf der Terrasse ausgemalt, mit einem Glas Rosé oder auch zwei am Abend, um auf den Sonnenuntergang anzustoßen. Und nun saß sie hier und öffnete ihren Aktenkoffer, um ein weiteres Mal die Unterlagen durchzusehen. Und dort, in einer Seitentasche verstaut, lagen auch ein paar Notizen, die sie für ihr Kündigungsschreiben zu Papier gebracht hatte. Allein ihr Anblick reichte aus, um ihre Stimmung zu bessern.
Es war ein düster dreinblickender Frank Knox, der sie am folgenden Tag begrüßte. Er hatte sich an die umsichtigen Gepflogenheiten seiner Branche gehalten, das Risiko zwischen verschiedenen Versicherungsgesellschaften aufzuteilen. Dennoch war es ein harter Schlag, den sein Unternehmen hinnehmen musste, und er wollte absolut sicher sein, dass Elenas Besuch nichts zu- tage gefördert hatte, was diesen Schlag zu mildern vermochte. Sie verbrachten mehrere Stunden damit, jede Einzelheit von Elenas Besuch im Haus der Castellacis in Nizza durchzugehen. „Außer schlechten Manieren ist den Castellacis nichts vorzuwerfen“, sagte Elena. Gemeinsam durchforsteten sie noch einmal die gesamte CastellaciAkte und überprüften ähnlich gelagerte Präzedenzfälle. Doch alle Mühe war vergebens. Solange nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass die Besitzer der gestohlenen Diamanten auch die Diebe waren, war die Schadenersatzforderung hieb- und stichfest.
Frank Knox seufzte. „Ich schätze, das war’s. Nun müssen wir den anderen Versicherungsgesellschaften die Hiobsbotschaft überbringen, dass sie blechen müssen.“
Elena überlegte einen Moment, entschied schließlich, dass sie Ihrem Boss eine ehrliche Auskunft schuldete. „Eine kleine Spur haben wir vielleicht doch noch“sagte sie. Und dann erzählte sie ihm von dem Weinkeller und dem Angestellten namens Jacques, den sie noch genauer unter die Lupe nehmen wolle.
Frank horchte auf, nahm ein Glas und eine Flasche Scotch aus seiner Schreibtischschublade.
„Dann hat sich ihre Reise ja schon gelohnt, Elena. Damit können wir immerhin einen Zahlungsaufschub bewirken, weil noch eine Spur zu verfolgen ist. „Es tut mir wirklich leid, aber diese Fährte, so vage sie auch sein mag, müssen natürlich Sie verfolgen. Wir müssen das noch einmal mit unseren Partnern durchgehen.“
Der Gedanke, sich mit einem Haufen misstrauischer Versicherungsagenten auseinandersetzen zu müssen, bestärkte Elena in ihrem Entschluss. „Tut mir auch leid, Frank, aber mir reicht’s. Wenn diese Sache vorbei ist, gehe ich.“Sie erschrak fast selbst, wie dezidiert sie das gesagt hatte. Sie holte das Kündigungsschreiben aus ihrem Aktenkoffer und ließ es über den Schreibtisch gleiten.
Knox warf einen Blick darauf, seufzte abermals, leerte sein Glas und schüttelte den Kopf. Elana hatte sich innerlich gegen Überredungsversuche, lukrative Gehaltsaufstockungen und verlockende Prämien gewappnet, stattdessen sagte ihr Chef nur knapp: „Wenn ich ehrlich bin, kann ich es Ihnen nicht verdenken.“Immerhin rang er ihr das Versprechen ab, die einzige Spur, die sie im Fall der Castellacis hatten, trotz der Kündigung zu verfolgen. „Sozusagen als Abschiedsgeschenk für mich.“
Elenas Anruf weckte Sam auf. „Ich habe gute und schlechte Neuigkeiten“, sagte sie. „Ich muss noch ein paar Tage in L. A. bleiben.“Sie schwieg einen Moment. „Die gute Nachricht ist, dass ich gekündigt habe.“„Schatz, das ist wunderbar. Wie geht es dir damit?“
„Hm – ich bin traurig wegen Frank, ansonsten fühle ich mich prima.“Sie hielt inne. „Nein, ansonsten geht es mir bestens.“„Ich kann hören, wie du lächelst.“„Pass auf, während du auf meine Rückkehr wartest, könntest du doch eigentlich schon das Haus in Augenschein nehmen, um dir ein Bild zu machen, was alles getan werden muss, oder? Ich erwarte einen umfassenden Bericht, einverstanden?“„Ganz zu Diensten, Madame.“Sam beschloss, die Hilfe Rebouls in Anspruch zu nehmen, war dieser doch mit den Freuden und Leiden einer Renovierung bestens vertraut. Drei Jahre hatte er damit zuge- bracht, das Palais Le Pharo, das eine Zeit lang für Verwaltungszwecke benutzt worden war, für seine Wohnbedürfnisse umzugestalten. Er war beinahe so aufgeregt wie Sam, und während des fünfundzwanzigminütigen Spaziergangs zum Haus erteilte er ihm einige grundlegende Ratschläge bezüglich des Umgangs mit der Zunft der provençalischen Architekten.
„Als Erstes gilt es, ein strikt einzuhaltendes Budget aufzustellen – diese Maßnahme ist nicht beliebt, aber unerlässlich „, sagte er. „Als Nächstes muss man es schaffen, einen unverrückbaren Fertigstellungstermin in einem schriftlichen Vertrag festzulegen. Das ist noch weniger beliebt. Und am wenigsten beliebt sind die Strafklauseln, die enthalten sein sollten, wenn die Arbeiten nicht fristgemäß beendet werden. Oh, und man sollte auf les petits inconnus achten.“
Sam lachte. „Würde ich ja, wenn ich wüsste, was das ist.“
„Die kleinen Unbekannten, die zu Buche schlagen. Sie stellen die beste Ausrede des Architekten dar – unvorhergesehene Probleme, die den Fortgang der Arbeit verzögern und den Preis in die Höhe treiben. Das kann alles Mögliche sein, von einer gebrochenen Abwasserleitung bis zu einer Kolonie von Killerhornissen im Dachgebälk. Aber – quelle surprise! – wer kann das schon im Voraus wissen?“
Reboul setzte seine Litanei der Tipps und Warnungen fort, bis die beiden Männer die enge, steinige Zufahrt erreichten und vor dem Haus stehenblieben. „Lieber Freund, nehmen Sie alles, was ich gesagt habe, nicht zu ernst. Dieses Anwesen ist etwas ganz Besonderes.“(Fortsetzung folgt)