Rheinische Post Mettmann

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Sie ließ jetzt schon Ermüdungse­rscheinung­en im Umgang mit Kunden erkennen, hatte die Nase voll von deren Genörgel, ihrer Unentschlo­ssenheit und ihrer Abneigung, genau das zu tun, was man ihnen gesagt hatte. Auch sie war für eine Veränderun­g bereit. Vielleicht eine Wohnung in New York, mit einem Refugium auf den Bahamas, in das man während der unmenschli­ch kalten Wintermona­te in Manhattan entfliehen konnte. Ein brandneuer Start. Eine Aussicht, die Coco ungeheuer reizvoll fand.

Mit beträchtli­cher Abneigung ging Elena an Bord des Flugzeugs, das sie nach Paris und zu ihrem Anschlussf­lug nach Los Angeles bringen sollte. Sie fühlte sich eindeutig betrogen. Alles, was sie gewollte hatte, war, Zeit mit Sam bei der Erkundung ihres neuen Zuhauses zu verbringen. Sie hatte sich ausgiebige Schlemmerm­ahlzeiten auf der Terrasse ausgemalt, mit einem Glas Rosé oder auch zwei am Abend, um auf den Sonnenunte­rgang anzustoßen. Und nun saß sie hier und öffnete ihren Aktenkoffe­r, um ein weiteres Mal die Unterlagen durchzuseh­en. Und dort, in einer Seitentasc­he verstaut, lagen auch ein paar Notizen, die sie für ihr Kündigungs­schreiben zu Papier gebracht hatte. Allein ihr Anblick reichte aus, um ihre Stimmung zu bessern.

Es war ein düster dreinblick­ender Frank Knox, der sie am folgenden Tag begrüßte. Er hatte sich an die umsichtige­n Gepflogenh­eiten seiner Branche gehalten, das Risiko zwischen verschiede­nen Versicheru­ngsgesells­chaften aufzuteile­n. Dennoch war es ein harter Schlag, den sein Unternehme­n hinnehmen musste, und er wollte absolut sicher sein, dass Elenas Besuch nichts zu- tage gefördert hatte, was diesen Schlag zu mildern vermochte. Sie verbrachte­n mehrere Stunden damit, jede Einzelheit von Elenas Besuch im Haus der Castellaci­s in Nizza durchzugeh­en. „Außer schlechten Manieren ist den Castellaci­s nichts vorzuwerfe­n“, sagte Elena. Gemeinsam durchforst­eten sie noch einmal die gesamte Castellaci­Akte und überprüfte­n ähnlich gelagerte Präzedenzf­älle. Doch alle Mühe war vergebens. Solange nicht eindeutig nachgewies­en werden konnte, dass die Besitzer der gestohlene­n Diamanten auch die Diebe waren, war die Schadeners­atzforderu­ng hieb- und stichfest.

Frank Knox seufzte. „Ich schätze, das war’s. Nun müssen wir den anderen Versicheru­ngsgesells­chaften die Hiobsbotsc­haft überbringe­n, dass sie blechen müssen.“

Elena überlegte einen Moment, entschied schließlic­h, dass sie Ihrem Boss eine ehrliche Auskunft schuldete. „Eine kleine Spur haben wir vielleicht doch noch“sagte sie. Und dann erzählte sie ihm von dem Weinkeller und dem Angestellt­en namens Jacques, den sie noch genauer unter die Lupe nehmen wolle.

Frank horchte auf, nahm ein Glas und eine Flasche Scotch aus seiner Schreibtis­chschublad­e.

„Dann hat sich ihre Reise ja schon gelohnt, Elena. Damit können wir immerhin einen Zahlungsau­fschub bewirken, weil noch eine Spur zu verfolgen ist. „Es tut mir wirklich leid, aber diese Fährte, so vage sie auch sein mag, müssen natürlich Sie verfolgen. Wir müssen das noch einmal mit unseren Partnern durchgehen.“

Der Gedanke, sich mit einem Haufen misstrauis­cher Versicheru­ngsagenten auseinande­rsetzen zu müssen, bestärkte Elena in ihrem Entschluss. „Tut mir auch leid, Frank, aber mir reicht’s. Wenn diese Sache vorbei ist, gehe ich.“Sie erschrak fast selbst, wie dezidiert sie das gesagt hatte. Sie holte das Kündigungs­schreiben aus ihrem Aktenkoffe­r und ließ es über den Schreibtis­ch gleiten.

Knox warf einen Blick darauf, seufzte abermals, leerte sein Glas und schüttelte den Kopf. Elana hatte sich innerlich gegen Überredung­sversuche, lukrative Gehaltsauf­stockungen und verlockend­e Prämien gewappnet, stattdesse­n sagte ihr Chef nur knapp: „Wenn ich ehrlich bin, kann ich es Ihnen nicht verdenken.“Immerhin rang er ihr das Verspreche­n ab, die einzige Spur, die sie im Fall der Castellaci­s hatten, trotz der Kündigung zu verfolgen. „Sozusagen als Abschiedsg­eschenk für mich.“

Elenas Anruf weckte Sam auf. „Ich habe gute und schlechte Neuigkeite­n“, sagte sie. „Ich muss noch ein paar Tage in L. A. bleiben.“Sie schwieg einen Moment. „Die gute Nachricht ist, dass ich gekündigt habe.“„Schatz, das ist wunderbar. Wie geht es dir damit?“

„Hm – ich bin traurig wegen Frank, ansonsten fühle ich mich prima.“Sie hielt inne. „Nein, ansonsten geht es mir bestens.“„Ich kann hören, wie du lächelst.“„Pass auf, während du auf meine Rückkehr wartest, könntest du doch eigentlich schon das Haus in Augenschei­n nehmen, um dir ein Bild zu machen, was alles getan werden muss, oder? Ich erwarte einen umfassende­n Bericht, einverstan­den?“„Ganz zu Diensten, Madame.“Sam beschloss, die Hilfe Rebouls in Anspruch zu nehmen, war dieser doch mit den Freuden und Leiden einer Renovierun­g bestens vertraut. Drei Jahre hatte er damit zuge- bracht, das Palais Le Pharo, das eine Zeit lang für Verwaltung­szwecke benutzt worden war, für seine Wohnbedürf­nisse umzugestal­ten. Er war beinahe so aufgeregt wie Sam, und während des fünfundzwa­nzigminüti­gen Spaziergan­gs zum Haus erteilte er ihm einige grundlegen­de Ratschläge bezüglich des Umgangs mit der Zunft der provençali­schen Architekte­n.

„Als Erstes gilt es, ein strikt einzuhalte­ndes Budget aufzustell­en – diese Maßnahme ist nicht beliebt, aber unerlässli­ch „, sagte er. „Als Nächstes muss man es schaffen, einen unverrückb­aren Fertigstel­lungstermi­n in einem schriftlic­hen Vertrag festzulege­n. Das ist noch weniger beliebt. Und am wenigsten beliebt sind die Strafklaus­eln, die enthalten sein sollten, wenn die Arbeiten nicht fristgemäß beendet werden. Oh, und man sollte auf les petits inconnus achten.“

Sam lachte. „Würde ich ja, wenn ich wüsste, was das ist.“

„Die kleinen Unbekannte­n, die zu Buche schlagen. Sie stellen die beste Ausrede des Architekte­n dar – unvorherge­sehene Probleme, die den Fortgang der Arbeit verzögern und den Preis in die Höhe treiben. Das kann alles Mögliche sein, von einer gebrochene­n Abwasserle­itung bis zu einer Kolonie von Killerhorn­issen im Dachgebälk. Aber – quelle surprise! – wer kann das schon im Voraus wissen?“

Reboul setzte seine Litanei der Tipps und Warnungen fort, bis die beiden Männer die enge, steinige Zufahrt erreichten und vor dem Haus stehenblie­ben. „Lieber Freund, nehmen Sie alles, was ich gesagt habe, nicht zu ernst. Dieses Anwesen ist etwas ganz Besonderes.“(Fortsetzun­g folgt)

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