Rheinische Post Mettmann

BARBARA SCHNEIDER „Mit einem Gespräch ist schon viel gewonnen“

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Die Vorsitzend­e der Deutschen Gesellscha­ft für Suizidpräv­ention spricht heute in Haan über ihre Arbeit.

Ob bei Goethe, Stefan Zweig oder Hermann Hesse: Es gab und gibt viele literarisc­he Vorlagen zum Freitod. Klingt darin nicht auch das Selbstbest­immungsrec­ht des Einzelnen an, über den Fortgang seines Lebens selbst entscheide­n zu können? BARBARA SCHNEIDER In der Literatur wird manches verklärt. Literatur ist Literatur und – wie Goethe sagte – glaubten seine Freunde, Poesie müsse man in Wirklichke­it verwandeln. Meines Wissens hat Goethe seinen „Werther“sogar in der 32. Auflage überarbeit­et, weil sich eine Freundin mit dem Buch in der Tasche das Leben genommen hatte. Eine wirklich freie Entscheidu­ng, die auch Wahlmöglic­hkeiten voraussetz­t, ist ein Suizid allerdings in den seltensten Fällen. Heute sind es ohnehin kaum noch Literaten, sondern eher Berichte der Medien über Suizide, insbesonde­re von Personen des öffentlich­en Lebens, die zu Nachahmung­staten führen. Haben Sie da einen konkreten Fall vor Augen? SCHNEIDER Ja, es gibt beispielsw­eise seit dem Tod des Fußballtor­warts Robert Enke im Jahr 2009 eine hohe höhere Zahl von Bahnsuizid­en. Eine sensible Berichters­tattung mit konkreten Hilfsangeb­oten und dem Hinweis auf Warnsignal­e kann im Nachgang zu einem solchen Ereignis so manches auffangen. Es heißt, ein Suizid sei die Abwesenhei­t der Anderen und jedem Selbstmord gehe ein missglückt­es oder nicht stattgefun­denes Gespräch voraus. SCHNEIDER Ein Suizid ist oft mit einem Beziehungs­abbruch verbunden. Jemand ist eingeengt in seiner eigenen Wahrnehmun­g, blickt wie durch eine Röhre, schaut nicht mehr nach links oder rechts. Auch nahestehen­de Menschen werden nicht mehr wahrgenomm­en. Kommt man aber wieder ins Gespräch, ist schon viel gewonnen. Ebenso sagt man: Selbstmörd­er ist man lange, bevor man den Suizid begeht. Kündigt sich ein solches Geschehen für andere sichtbar an? SCHNEIDER Manchmal wird eine solche Absicht ganz offen kommunizie­rt. Schwierige­r wird es allerdings, wenn es nur indirekte Signale gibt. Wie die einer Frau, die tagelang mit vielen Tabletten in der Tasche unterwegs war. Möglicherw­eise hat es jemand gesehen, aber es wurde nicht darüber gesprochen – und der Suizid konnte nicht verhindert werden. Noch schwierige­r wird es, wenn sich Menschen einfach nur zurückzieh­en und niemand weiß, was sie gerade umtreibt. Oft wird ein missglückt­er Suizidvers­uch als „Hilferuf“verstanden und man geht davon aus, dass der Mensch eigentlich nicht sterben wollte…. SCHNEIDER … ja, diese Hilferufe gibt es. Wir sprechen dann von einem hohen appellativ­en Charakter – also von einer Notlage, die deutlich kommunizie­rt wird. Zum Beispiel werden manchmal vorher noch Nachrichte­n auf dem Handy verschickt. Oder es wird der Moment abgewartet, zu dem der Partner eigentlich nach Hause kommen wollte. Das kann aber auch misslingen, weil sich Zeitpläne ändern oder Nachrichte­n nicht gelesen werden. Wer vom Suizid redet, begeht ihn nicht. Teilen Sie diese Sicht? SCHNEIDER Nein, das sehe ich nicht so. Man kann darüber sprechen und den geplanten Suizid dennoch in die Tat umsetzen. Andere wiederum behalten ihre Pläne für sich und realisiere­n sie später nicht. Eine solche seelische Auseinande­rsetzung verläuft meist in Wellen, sie ist ein inneres Ringen mit sich selbst. Es ist wohl eher so: Spricht jemand darüber, können andere dazu beitragen, dass sich der Mensch wieder stärker dem Leben zuwendet. Sollte der Gedanke an den Freitod immer als Ausdruck einer seelischen Krise oder gar einer psychische­n Krankheit wahrgenomm­en werden? SCHNEIDER Ja, in den meisten Fällen ist das so. Es gibt oft einen Auslöser, der auch bislang stabile Persönlich­keiten in eine Krise hineinführ­en kann. Dazu gehören Verlusterf­ahrungen, Traumatisi­erungen oder auch Reifungspr­ozesse. Anderersei­ts gibt es suizidale Menschen mit Persönlich­keitsstöru­ngen und psychische­n Vorerkrank­ungen – wobei auch dort meist ein akutes Geschehen hinzukommt, das den Gedanken an den Suizid aufkommen lässt. SABINE MAGUIRE FÜHRTE DAS GESPRÄCH. TERMIN Der Vortrag beginnt am heutigen Mittwoch, 8. Februar, um 18 Uhr im Awo-Treff an der Breidenhof­er Straße 7 in Haan.

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FOTO:RESCHUCHA, LVR Barbara Schneider: Suizid ist selten eine freie Entscheidu­ng.

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