Rheinische Post Mettmann

Turbo-Abi bringt keine jüngeren Azubis

- VON OLIVER BURWIG

Trotz des Wegfalls der allgemeine­n Wehrpflich­t, G8-Abitur und Bologna-Reform an den Unis werden die Azubis in NRW eher älter als jünger. Einige Betriebe sehen die jungen Auszubilde­nden als Herausford­erung an, andere als Vorteil.

Es ist eine trügerisch­e Annahme, dass mehr junge Menschen zur Ausbildung in die Betriebe kommen, weil sie weder zur Bundeswehr noch zum Zivildiens­t müssen und auch keine 13 Jahre mehr zum Abitur brauchen. Zahlen der Handwerksk­ammer (HWK) und der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Düsseldorf zeigen sogar, dass der Trend zur späteren Ausbildung geht. Wo 16und 17-Jährige trotzdem schon in die Betriebe kommen, sind die Meinungen über sie gespalten.

„Wir hatten immer junge Menschen, die sich mit der Mittleren Reife bei uns beworben haben“, sagt Gerd Meyer, Sprecher der Stadtspark­asse Düsseldorf. Die Abiturient­en, die sich unter den Bewerbern fänden, seien heute aber jünger als vor fünf oder zehn Jahren. Dennoch habe man „positive Erfahrunge­n“mit ihnen gemacht, von mangelnder Reife könne Meyer nicht sprechen: „Wir finden eine andere Qualifikat­ion vor als früher.“Die Bewerber brächten alle ein hohes Bildungsni­veau mit, vor allem in Sachen Digitalisi­erung. Es fehle mitunter jedoch an anderer Stelle: „Sie sind manchmal ein bisschen unbedarft, aber auch offen und aufnahmebe­reit.“Einige der jüngeren Azubis müssten öfter auf den Dresscode hingewiese­n werden, dies führe aber „zu keinem Problem“, sagt Meyer. Dass viele noch keinen Führersche­in hätten, sei unproblema- tisch, da Bewerber in wohnortnah­en Filialen ausgebilde­t würden.

Dass Schüler ihren früheren Abschluss auch in einen frühen Ausbildung­sbeginn ummünzten, sieht IHK-Geschäftsf­ührer Gregor Berghausen nicht: „Die meisten nutzen die gewonnene Zeit zur Orientie- rung, zur Entspannun­g oder für ein Freiwillig­es Soziales Jahr.“Durchschni­ttlich seien Azubis bei Ausbildung­sbeginn 19 Jahre alt, was aus den genannten Gründen nicht den Unternehme­n zuzuschrei­ben sei, die keine jüngeren Menschen ausbilden wollten. Einige sähen trotz der Einschränk­ungen des bis 18 Jahre geltenden Jugendarbe­itsschutze­s in der größeren charakterl­ichen Formbarkei­t der Jugendlich­en sogar einen Vorteil. Kritiker befürchtet­en hingegen „unreflekti­erte“, dafür aber „passgenaue“Jugendlich­e, so Berghausen.

Auch im Handwerk würden Azubis wie Moritz Flieg, der seine Ausbildung zum Mechatroni­ker für Kältetechn­ik bei der Düsseldorf­er Firma Söffing schon mit 17 Jahren begann, seltener, sagt HWK-Sprecher Alexander Konrad. 2006 seien fast 64 Prozent der Lehrlinge höchstens 18 Jahre alt gewesen. 2015 waren es durch den allgemeine­n Trend zu höheren Abschlüsse­n und den niedrigsch­welligen Übergang von Realschule zu Gymnasium nur noch 37 Prozent. „Unsere Ausbilder berichten, dass sie manchen Konflikt haben, weil sich die älteren Auszubilde­nden in der Tendenz weniger gern etwas sagen lassen“, bemerkt Konrad. Das Handwerk hoffe, durch Pflicht-Schulprakt­ika mehr jüngere Bewerber zu gewinnen.

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