Das Multitalent Al Jarreau stirbt im Alter von 76 Jahren
LOS ANGELES Schon vor einigen Jahren, als er mit einer schweren Lungenentzündung im Krankenhaus von Grenoble lag, mussten wir mit dieser Nachricht rechnen. Doch damals sprang er dem Tod von der Schippe und wirkte bald wieder so vergnügt, wie wir ihn über Jahrzehnte erleben durften. Er war ja irgendwie immer präsent und mitten unter uns, ein Menschenfreund, der seine Fühler in viele Welten gesteckt hatte und doch nirgendwo kleben blieb. Ob Jazz, Soul, Pop, R&B – Al Jarreau war ein Multitalent, eine stratosphärische Begabung, die uns Hörern die Freude in die Ohren sang. Jetzt ist dieser wunderbare US-amerikanische Musiker 76-jährig in Los Angeles gestorben.
Wenn wir nun direkt zwei Songs von ihm im Kopf haben, so zeigen sie, in welchen Dimensionen er dachte. Zum einen „After All“, eine wunderbare Pop-Liebeserklärung für jene Momente, da Liebende zu zweifeln beginnen – Mr. Jarreau aus Wisconsin interpretierte das groß, mächtig, hymnisch. Ein Botschafter der Herzen. Und zum anderen „Why Do The Nations So Furiously Rage Together“, seine Bearbeitung einer Arie aus Händels Oratorium „Messias“, bei der die Stimme zum BigBand-Instrument wurde.
Angefangen hatte diese Karriere – die von sieben Grammys gekrönt wurde – denkwürdig: mit einem Doppelleben. Tagsüber arbeitete er als Sozialarbeiter in einem Zentrum für behinderte Menschen, abends sang er in einem Club, und kein Geringerer als George Duke begleitete ihn. Das war in den 60er Jahren. Bald entdeckten ihn die Produzenten, sie merkten, was dieser Jarreau mit seiner Stimme als jazziger Gymnastik anstellen konnte.
Eine Weltkarriere begann, die mit vielen anderen Künstlern in Berührung kam, die ebenfalls sogleich von ihm berührt waren. Jarreau war einer, den man mögen musste. Und er besaß ein wunderbares Gedächtnis für Gesichter. Hatte er sich einmal eines gemerkt, erkannte er es noch Jahre später wieder. Und dann sagte er einfach: „I know you!“