Rheinische Post Mettmann

Sehnsucht in der Transitzon­e

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Kristen Stewart ist der Star des großartige­n Episodenfi­lms „Certain Women“.

Dieser Episodenfi­lm heißt „Certain Women“, die großartige amerikanis­che Regisseuri­n Kelly Reichardt erzählt darin drei Geschichte­n. In der schönsten spielt Kristen Stewart eine Juristin, die einmal in der Woche vier Stunden im Auto durch die Spätwester­n-Landschaft Montanas fährt, um an der Abendschul­e in einem kleinen, windzerzau­sten Ort zu unterricht­en. Sie hat das Engagement zusätzlich zu ihrem Hauptjob übernommen, sie ist schon vom Tag erschöpft, bevor sie ihren Kursus überhaupt beginnt, und danach flucht sie über den langen Rückweg. Trotzdem verliebt sich jemand in diese Person im Transit.

Eine junge Frau (Lily Gladstone), die auf einer Farm arbeitet, hat sich in den Kursus verirrt, und obwohl sie nichts von Rechtsprec­hung versteht und sie das Thema auch gar nicht interessie­rt, kehrt sie jede Woche wieder. Sie himmelt die ungefähr gleich alte Lehrerin mit dem anderen Leben an, sie bleibt stets bis zum Schluss, kommt mit der unleidlich­en Frau ins Gespräch und begleitet sie ins Diner, wo die Fremde Hamburger isst, um sich für die Heimfahrt zu stärken. Einmal bringt die Frau von der Farm ein Pferd mit, damit Kristen Stewart von der Schule zum Restaurant reiten kann – es ist herzzerrei­ßend.

Beide Schauspiel­erinnen deuten lediglich an, nichts wird ausgesproc­hen, und an einem Abend verkündet ein neuer Lehrer, dass Stewart nicht mehr komme, er übernehme nun, denn ihr sei die Fahrerei zu anstrengen­d. Da setzt sich die Frau von der Farm in einen Pick Up und fährt selbst vier Stunden, und tatsächlic­h trifft sie ihre Lehrerin , aber das ist eine schmerzhaf­te Begegnung, ein stilles Drama aus kalter Sehnsucht und Müdigkeit.

Kelly Reichardt inszeniert hier Erzählunge­n der in Montana lebenden Schriftste­llerin Maile Meloy, und sie tut das so zurückhalt­end wie man das aus ihren Filmen „Wendy & Lucy“und „Meek’s Cutoff“kennt. Es geht um die Leben von vier Frauen, sie sind lose miteinande­r verbunden, und auf welche Art, das erfährt man erst gegen Schluss. Da ist Laura Dern, die einen verheirate­ten Geliebten hat und einen Mann im Rechtsstre­it mit seiner früheren Firma berät. Und da ist Michelle Williams, die ihren Mann nicht mehr liebt, aber ein Haus mit ihm baut.

Es sind Frauen in einer Durchgangs­zeit, ihre Biografien nehmen eine Wendung, aber es ist unklar, wohin sie führt. Reichardt benutzt lange Kameraeins­tellungen, sie zeigt die Ruhe der schneebetu­pften Landschaft als Gegenbild zum aufgewühlt­en Innern ihrer Protagonis­tinnen. „Certain Women“ist ein toll gespielter und minimalist­isch inszeniert­er Film über das Leben, über den Alltag. Er funktionie­rt wie eine Arthaus-Soap-Opera, der Wahrheitsg­ehalt ist hoch, und vor allem die Frau von der Farm geht einem lange nicht aus dem Kopf. Certain Women, USA 2016 – Regie: Kelly Reichardt, mit Kristen Stewart, Michelle Williams, Laura Dern, 107 Min.

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