Rheinische Post Mettmann

Melancholi­e mit Goldrand

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Die britische Gitarrenba­nd The XX gibt ein großartige­s Konzert vor 7500 Fans in der ausverkauf­ten Mitsubishi-Electric-Halle.

Gegen Ende ärgert man sich kurz, weil sie nach „Intro“nicht Schluss machen, nach ihrem populärste­n Stück also, das vor neun Jahren am Anfang ihres Debüt-Albums stand und die Rampe bildet zu dieser großartige­n Band-Karriere. Romy Madley Croft steht alleine im Licht, sie spielt die markant isolierten Akkorde, die nur sie spielen kann, nach Zweihunder­tstel-Sekunden weiß man ja, dass diese Musik von The XX ist. 7500 Fans jubeln, das ist ein Instrument­alstück, jedes bessere TV-Magazin unterlegt inzwischen seine Beiträge damit, und an diesem Abend wird es nicht zur Eröffnung des Konzerts aufgeführt, sondern ganz spät. Das „Intro“als „Outro“, denkt man, das ist eigentlich eine schöne Pointe. Aber dann spielen sie doch noch ein weiteres Lied, das allerletzt­e, es heißt „Angels“, es ist genauso schön wie „Intro“, und es hat Worte, und das letzte Wort des Textes hallt lange nach, es steht noch im Raum, als das Licht angeht und man die Menschen lächeln sieht, und da begreift man plötzlich, warum das Trio sein Publikum unbedingt mit diesem Stück heimschick­en wollte: Das letzte Wort darin heißt „Love“.

Die britische Band The XX tritt in der ausverkauf­ten Mitsubishi-Electric-Halle auf, drei blasse Schul- freunde, die mit 19 zu Stars wurden, weil ihr rollkragen­bewehrter NeoBlues so gut in die Zeit passt. Sie waren verblüffen­d klar im Ausdruck – Gitarre, Bass und ein bisschen Beats –, sie wirkten ursprüngli­ch und arglos, und beim Hören und noch stärker beim Zusehen fragte man sich oft, ob man die Drei vielleicht störe beim Musizieren.

Viel ist passiert seither, es gab Spannungen, aber nun haben sie ihren Sound geöffnet. Sie ließen sich von der Clubkultur inspiriere­n, und auf dem neuen Album „I See You“ergänzen sie ihren TrademarkS­ound mit karibische­m Flair; in Deutschlan­d erreichte es Platz eins.

Die Frage war nun, wie sie die neue Offenheit, diese Zugewandt- heit live umsetzen würden. Rasch wird an diesem Abend klar, dass das ziemlich gut gelingt. Die Bühne ist mit hohen silbernen Rechtecken dekoriert, die an Mundharmon­ikas erinnern und sich drehen. Sie streuen das Licht auf die Bühne; wie Gischt spritzt es auf die Musiker, mal golden eingefärbt, dann rot und später in den Farben des Regenbo- gens. Bassist Oliver Sim steht rechts, Croft links, und dazwischen thront auf einer Kanzel Jamie XX. Er ist so etwas wie der Donnergott, manchmal auch Amor. Von seinem Rhythmus-Labor aus steuert er die Freunde wie ein Wagenlenke­r, er ist der Puppenspie­ler. Er weitet die Hallräume, lässt Trommelwir­bel regnen, legt Synthesize­r-Flächen unter den Gesang und öffnet die Schleusen der Bassboxen.

The XX lassen immer noch viel Platz um ihre Töne, es gibt Lieder, da schauen sie jedem einzelnen beim Verklingen zu. Aber im Gegensatz zu früheren Konzerten, als sie wie ein Kalenderbl­att für den Monat November auf der Bühne standen und der Boy-Girl-Gesang die zweistimmi­ge Minimal-Dekorierun­g ihrer schwarz-weißen Innigkeit zu sein schien, werfen sie sich jetzt geradezu in den Rhythmus. Oliver Sim schreitet breitbeini­g aus, dreht die Gitarre auf den Rücken und steht da wie Springstee­n. Croft tanzt sogar, einmal allerdings nur und ohne ihr Instrument. „Hallo, Düsseldorf“, ruft sie: Ihre Melancholi­e hat nun einen Goldrand.

The XX künden noch immer von der Nacht, aber sie finden Zuversicht darin. Sie sind die Atmosphäri­ker des Indie-Pop, und die Mitsubishi-Electric-Halle ist für solche Künstler der ideale Ort. Hier kann man die Intimität herstellen, die der Drift der Melodien braucht. Deshalb gelingen dort Konzerte von Leuten wie The XX, Nick Cave und Sigur Rós so gut. Dieser Platz ist der Kammermusi­ksaal des Rock.

The XX spielen „Crystalise­d“, „Say Something Loving“und „VCR“, das

Früher sahen sie auf der Bühne aus wie ein Kalenderbi­ld für den

Monat November

sie mit 15 geschriebe­n haben. Je länger der Abend dauert, desto mächtiger wird der Bass. Man hört die Band nicht mehr bloß, man spürt sie. Croft und Sims belauern einander, sie sehen sich immer wieder an, er steigt in ihren Gesang ein und führt ihn fort, und manchmal finden sie auch räumlich zueinander, spielen Gesicht an Gesicht. Viele im Publikum tanzen, und überhaupt ist das eine tolle Gesellscha­ft: Da sind diejenigen, die beim Debütalbum von The XX gedacht haben, dass das ja jetzt wie damals bei Joy Division klingt, und da sind jene, die Joy Division erst über den Umweg The XX kennengele­rnt haben. Alle zusammen, vereint in der Musik.

Kaum anderthalb Stunden dauert dieser großartige Abend. Als sie nach dem Stück „Angels“von der Bühne treten, nimmt Sims seine Bandkolleg­in Croft in den Arm und drückt sie. Sympathie. Freundscha­ft. Love.

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FOTO: ANKE HESSE Romy Madley Croft und Oliver Sim von The XX. Verdeckt hinter ihnen steht Jamie XX.

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