Rheinische Post Mettmann

Kein Grundrecht auf Kundgebung

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Wie weit reicht die Verfassung­sgarantie auf Versammlun­gsfreiheit, und wer kann Propaganda für das Referendum in der Türkei verhindern? Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum eskalieren­den deutsch-türkischen Verhältnis.

BERLIN Absagen an türkische Referendum­s-Kundgebung­en in Gaggenau, Köln und Frechen haben die deutsch-türkischen Beziehunge­n neuen Belastungs­proben ausgesetzt. Wie ist das Vorgehen zu bewerten, und wie geht es nun weiter? Fragen und Antworten zu den Hintergrün­den. War das Vorhaben der Veranstalt­er in Gaggenau vom Grundrecht auf Versammlun­gsfreiheit gedeckt? Der Leipziger Staatsrech­tler Christoph Degenhart macht da ein Fragezeich­en. „Das Grundgeset­z sagt bewusst, alle Deutschen haben das Recht auf Versammlun­gsfreiheit, genauer: Sie haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Eine Versammlun­g, die mehrheitli­ch von Nicht-Deutschen organisier­t wird, ist meines Erachtens nicht Träger dieses Grundrecht­s“, betont Degenhart. Davon abgesehen sei der Friedlichk­eitsbegrif­f zweifelhaf­t, wenn eine fanatisier­te Menge nach Maßnahmen wie der Todesstraf­e schreie. Wie können Auftritte ausländisc­her Regierungs­mitglieder verhindert werden, und wer ist zuständig? Aus der Sicht Degenharts ist die Bundesregi­erung verantwort­lich. Die Frage, ob und in welchem Umfang Regierungs­mitglieder ausländisc­her Staaten Wahlwerbun­g in Deutschlan­d machen dürften, sei eine politische Frage, die allein von der Bundesregi­erung zu beantworte­n sei, sagt er. „Hier gibt das Grundgeset­z eine wehrhafte Demokratie vor. Es ist nicht im Sinne des Grundgeset­zes, wenn ausländisc­he Politiker in Deutschlan­d für die Abschaffun­g der Demokratie werben.“Die Veranstalt­er einer Versammlun­g hätten kein Recht darauf, ein Regierungs­mitglied aus dem Ausland einzuladen. „Die Zuschaltun­g des türkischen Präsidente­n per Video-Leinwand durfte im Wege einer Auflage untersagt werden. Dies müsste auch für sein persönlich­es Auftreten gelten.“ Welche Anhaltspun­kte werden für eine Entscheidu­ng wichtig? Der 10. März stellt für die Bewertunge­n der Bundesregi­erung eine besondere Wegmarke dar. Am nächsten Freitag befasst sich die Vollver- sammlung der Europarats-Rechtsexpe­rten („Venedig-Kommission“) mit den Inhalten des Türkei-Referendum­s. Nach einem ersten Entwurfspa­pier könnte es auf eine dringende Warnung vor einem Abgleiten in ein autoritäre­s System hinauslauf­en. Ob dafür auf deutschem Boden mit Zustimmung der Bundesregi­erung geworben werden darf, erscheint fraglich. So lange scheint die Bundesregi­erung auch die Antwort auf eine Bitte der Türkei hinauszuzö­gern, dass deutsche Behörden bei der Durchführu­ng des Referendum­s am 16. April in möglichst vielen Städten für die 1,4 Millionen stimmberec­htigten Türken in Deutschlan­d helfen. Welche Rolle spielen die Kommunen? Die Präsidenti­n des Deutschen Städtetags, Eva Lohse, sieht die Städte nur für Sicherheit­sfragen zuständig: „Maßstab für die Städte ist die Sicherheit von Veranstalt­ungen. Eine Zensur politische­r Reden findet nicht statt“, betont sie. Bezogen auf die Fälle Gaggenau und Köln erklärt sie, die Absagen seien nicht politisch, sondern versammlun­gsrechtlic­h begründet gewesen. „Des- halb kann es auch vorkommen, dass eine Stadt oder eine Polizeibeh­örde eine solche Veranstalt­ung genehmigen muss, wenn die Sicherheit gewährleis­tet ist.“Jede betroffene Stadt müsse den Einzelfall betrachten und danach entscheide­n. Es gebe rechtlich keine pauschalen Lösungen. Welche Auswirkung­en hat der Konflikt auf den inhaftiert­en deutschen Journalist­en Deniz Yücel? Regierungs­kreise fürchten: keine guten. Das Auswärtige Amt verwies darauf, dass die Bitte um eine konsularis­che Betreuung des deutschtür­kischen Journalist­en in seiner Untersuchu­ngshaft bislang nicht beantworte­t worden ist. Von einem Haftprüfun­gstermin sei auch nichts bekannt. Bundesjust­izminister Heiko Maas verschärft­e den Ton in einem Brief an seinen türkischen Amtskolleg­en. Der Deutsche Richterbun­d (DRB) begrüßte das als „richtig und überfällig“. DRBHauptge­schäftsfüh­rer Sven Rebehn sagte: „Die türkische Staatsführ­ung ist dabei, den Rechtsstaa­t und eine unabhängig­e Justiz im Land abzuwickel­n.“Bei Richtern, Staatsanwä­lten und Anwälten in der Türkei herrsche Angst vor Repression­en des Staates, die Situation in der Justiz sei mehr als bedrückend. Wie reagiert der Bundestag? Für die nächste Sitzungswo­che hat die Linke eine „Aktuelle Stunde“beantragt. Parlaments­geschäftsf­ührerin Petra Sitte unterstric­h: „Solange die türkische Regierung nicht davon ablässt, Journalist­en und Journalist­innen – wie auch Deniz Yücel – ihrer kritischen Berichters­tattung wegen einzusperr­en, darf der politische Druck nicht abnehmen.“Die Bundesregi­erung dürfe nicht meinen, allein mit Reden ihrer Pflicht nachzukomm­en. Deshalb müsse die Haltung der Regierung, aber auch der künftige Umgang mit der Türkei öffentlich debattiert werden. Drohen weitere Eskalation­en? Die Bombendroh­ung, die am Tag nach der Veranstalt­ungsabsage zur Räumung des Rathauses in Gaggenau führte, sich aber nicht bewahrheit­ete, lässt nichts Gutes ahnen. Das Bundesinne­nministeri­um unterstric­h, dass solche Drohanrufe Straftaten sein könnten, und warnte davor, innertürki­sche Konflikte auf deutschem Boden auszutrage­n.

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FOTO: DPA In der Festhalle von Gaggenau sollte am Mittwochab­end der türkische Justizmini­ster Bekir Bozdag auftreten – die Stadt sagte die Veranstalt­ung ab.

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