Rheinische Post Mettmann

UND DIE WELT

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Warum wir aus der Geschichte wenig lernen

Die Ausgaben für Waffen steigen weltweit wieder deutlich. Langstreck­enraketen werden erprobt, Atomwaffen in Betracht gezogen. Auch scheint die Demokratie selbst in westlichen Ländern erheblich an Attraktivi­tät verloren zu haben. Und in der Europäisch­en Union kommt nationalst­aatliches Denken wieder in Mode und wird bei der Abschottun­g vor Flüchtling­en auch exekutiert. Natürlich langt das noch nicht für ein düsteres Untergangs­szenario. Doch stellt sich die simple Frage, warum das so ist. Warum also Verhaltens­weisen wirkmächti­g werden, von denen man glaubte, dass sie längst für falsch erkannt und daher für immer abgelegt wurden. Allgemeine­r formuliert: Warum scheinen die Menschen aus der Geschichte offenkundi­g nicht allzu viel zu lernen? Denn wäre die Kenntnis der Vergangenh­eit tatsächlic­h ratgebend für die jeweilige Gegenwart, so hätte der erste Krieg der Menschheit­sgeschicht­e zugleich der letzte sein müssen. Die talmudisch­e Weisheit, dass das Geheimnis der Versöhnung Erinnerung heißt, klingt gut, wird aber zu oft von den Untaten der Menschen widerlegt. Die Geschichte ist zumindest kein sonderlich einflussre­icher Schulmeist­er, zumal jede Generation sich von Neuem dem Vergangene­n zuwenden und seine Schlüsse daraus ziehen muss. Vergangenh­eit ist darum nie vergangen, sondern wird erst durch unsere jeweilige Aneignung erfahrbar. Geschichte wird aber auch deshalb selten als lehrreich empfunden, weil jede neue Genera- tion ihr Leben und ihre Zeit als einzigarti­g begreift. Diese Zeit wird gelebt, genau jetzt. Und sie scheint sich von allem bisher Dagewesene­n zu unterschei­den. Das ist kein Phänomen nur unserer Zeit. „Aus der Geschichte der Völker können wir lernen, dass die Völker aus der Geschichte nichts gelernt haben“, wusste bereits der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770– 1831). Die Geschichte einfach verstummen zu lassen, ist ein Zeichen von Selbstermä­chtigung. Ein Hinweis darauf, dass Herkunft für die Zukunft irrelevant ist. Zeit als lineare Bewegung: Eins ergibt das andere. Altes wird abgelegt, Neues geboren, als gäbe es so etwas wie ein Ziel, das zu erreichen ist. Es gibt einen anderen Begriff von Historie, das ist die Heilsgesch­ichte, wie sie etwa das Christentu­m kennt. Damit wird nun nicht der Fortschrit­t verneint, das Fortschrei­ten selbst aber als eine immer noch sinnvolle Nachfolge begriffen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, lautet die Aufforderu­ng Jesu. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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