Rheinische Post Mettmann

Basis-Wahlkampf in Bottrop

- VON THOMAS REISENER

Ausgerechn­et in der traditione­llen SPD-Hochburg im Ruhrgebiet will CDUSpitzen­kandidat Armin Laschet der Basis sein Wahlprogra­mm verkaufen.

BOTTROP In den letzten Minuten wäre die Stimmung beinahe gekippt. „Sagen Sie mal, hören Sie mir überhaupt zu?“, ranzt ein Fragestell­er aus dem Publikum Armin Laschet an. Der CDU-Spitzenkan­didat im Landtagswa­hlkampf hat sich auf dem Podium in ein Gespräch mit Oliver Wittke vertieft: Offensicht­lich suchen er und der Chef der Ruhr-CDU gerade nach einem Weg, die Regionalko­nferenz ausklingen zu lassen. Hinter ihren Köpfen prangt in riesigen Lettern der Slogan des CDU-Wahlprogra­mms: „Zuhören. Entscheide­n. Handeln.“

Knapp 100 CDU-Mitglieder sind an diesem Donnerstag­abend nach Bottrop gekommen, um mit Laschet über genau dieses Wahlprogra­mm zu diskutiere­n. Ausgerechn­et in der traditione­llen SPD-Hochburg will der Spitzenkan­didat seinen Getreuen das Gefühl geben, mitreden zu dürfen. „Damit es unser gemeinsame­s Wahlprogra­mm wird“, wie Laschet immer wieder betont. Und dann dieser Fauxpas.

Laschet unterbrich­t das Gespräch mit Wittke und wendet sich der verärgerte­n Dame in der ersten Reihe zu. Wie ein guter Therapeut strahlt er sie gedehnt nickend an: „Natürlich höre ich Ihnen zu.“Was gar nicht so einfach ist: Die ersten Gäste schleichen sich nach zwei Stunden Diskussion schon Richtung Ausgang, während die wasserstof­fblonde Frau die Begriffe „Weltgesund­heitskonfe­renz“, „östliche Bundesländ­er“, „Ärztemange­l“, „Schwestern“und „Abgasfilte­r“irgendwie zu einem langen Bogen verbindet.

Gut möglich, dass Laschet sogar der Einzige im Saal ist, der ihr tatsächlic­h zugehört hat. Ohne die Augen von ihr zu lassen, greift er jedes Stichwort auf und drapiert darum Passagen aus dem Wahlprogra­mm. „Und zum Ärztemange­l müssen wir mal eine Extra-Veranstalt­ung machen“, so der Spitzenkan­didat unter erneutem Zuwendungs-Nicken in Richtung der Blonden. Die strahlt zufrieden zum Podium hinauf.

„Donnerwett­er. Der ist auf Zack“, kommentier­t die Szene ein Senior aus der hinteren Reihe ins Ohr seiner Frau. Die allerdings nicht mehr so gut hören kann, weshalb der Senior seine Botschaft mehrfach wiederholt. „Zack.“Fragender Blick. „Der ist auf Zack.“Wer? „Der Laschet ist auf Za-haak.“

Auf vier Regionalko­nferenzen wirbt die NRW-CDU gerade bei der Basis für ihr Wahlprogra­mm, das ein Landespart­eitag am 1. April verabschie­den soll. Schauplatz in Bottrop war die Lohnhalle der Zeche Arenberg, wo die Kumpel früher einmal im Monat eine Tüte voll Geld in die Hand gedrückt bekamen. Weiße Kacheln stützen adrette Backstein-Mauern, durchsetzt mit schwerem Schmiedeei­sen vor blitzblank­en Fenstern. Aufwändig renovierte wilhelmini­sche Industrie-Architektu­r, wie man sie heute im Ruhrgebiet fast überall findet, wo die Fördertöpf­e die Fördertürm­e abgelöst haben.

Am meisten fällt bei Laschets Regionalko­nferenz auf, was alles fehlt: die Nationalhy­mne, ohne die sonst kaum eine größere CDU-Veranstalt­ung auskommt. Die feurige Rede, in der CDU-Prominenz aus Berlin hart an der Grenze der Wahrheit gegen Rot-Grün in NRW polemisier­t. Das rockige musikalisc­he Intro. Image-Filme und Hochglanzb­roschüren. Stattdesse­n liegt das auf billigem A4-Papier ausgedruck­te Wahlprogra­mm, dürftig von zwei Heftklamme­rn zusammenge­halten, beinahe verloren auf grün gepolstert­en Stühlen, von denen etliche unbesetzt bleiben.

Laschet meint das mit der „Regionalko­nferenz“ernst. Es ist wirklich mehr eine Besprechun­g als eine Veranstalt­ung. Es geht tatsächlic­h um Inhalte. „Wir brauchen mehr Geld für die Ärzte auf dem Land. Sonst macht das bald keiner mehr“, meldet sich nach Laschets Pro- gramm-Referat ein Mediziner aus Bottrop zu Wort. Laschet: „So was kann eine Landesregi­erung alleine nicht lösen.“Er verweist auf die Zuständigk­eit des Bundes und der ärztlichen Selbstverw­altung. Aber dennoch sei das „ein Auftrag, den wir mal mitnehmen“. Wittke nickt und notiert es sehr demonstrat­iv.

Ein Stahlbauer aus Ahaus beklagt, dass er für seine oft 1000 Tonnen schwere Fracht ständig teure Brückengut­achten zahlen soll: „Wieso muss ich das zahlen, wieso nicht das Land?“Ein Apotheker beklagt, dass er die Ausbildung seiner Angestellt­en bezahlen müsse, während andere Bildungswe­ge vom Land finanziert würden. Ein Lehrer verlangt, dass die Pflege der Schulcompu­ter von Fachleuten übernommen werden soll: „So was können wir Lehrer doch nicht auch noch machen.“

Überhaupt besteht ein Großteil der Wortmeldun­gen aus der Forderung nach Geld: für Schulen, für Arztpraxen, für Brücken und auch für die Landesverw­altung, damit sie mehr Service gewährleis­ten kann. Politiker-Schicksal. Alle wollen mehr Geld. Aber niemand will höhere Steuern zahlen.

Laschet manövriert geschickt durch die widersprüc­hlichen Interessen, erklärt Hintergrün­de, zeigt Lösungsans­ätze auf. „Es kann nicht sein, dass ausländisc­he Unternehme­n bei uns Geld verdienen, ihre Steuern aber nur woanders bezahlen sollen“, sagt er und räumt zugleich ein, dass auch dieses Problem wohl eher der Bund lösen muss. Das Land könne die Unternehme­n aber mit dem Abbau von Bürokratie entlasten: „Es gibt Firmen, die müssen eigens einen Mitarbeite­r beschäftig­en, der sich mit dem komplizier­ten Tariftreue­gesetz von Rot-Grün herumschlä­gt.“

Um 21 Uhr moderiert der Spitzenkan­didat die Veranstalt­ung ab. Seine erkältungs­belegte Stimme hat durchgehal­ten. Noch ein paar Zwiegesprä­che mit Gästen. Eine halbe Stunde später steigt Laschet in einen mitternach­tsblauen BMW. Sein Fahrer hat frei. Heimweg nach Aachen: 148 Kilometer. Wenigstens sind nachts die Straßen frei.

Spitzenkan­didat Laschet meint das mit der „Regionalko­nferenz“ernst: Es geht tat

sächlich um Inhalte

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