Rheinische Post Mettmann

Ohne Dich bin ich ein rohes Ei

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Bücher mit Liebesbrie­fen berühmter Menschen verkaufen sich gerade besonders gut. Der Klatschfak­tor ist hoch, und man kann sich einiges abgucken. Eine Kulturgesc­hichte der Sehnsucht zwischen den Zeilen.

Die Schriftste­llerin Anaïs Nin war dafür bekannt, dass in ihren Texten auch in jenen Körperregi­onen schönes Wetter herrschte, die von der Sonne sonst nicht so verwöhnt werden. Sozusagen. Da passt es natürlich sehr gut, dass sie mit Henry Miller liiert war, denn auch der wusste, was einen gelungenen von einem ekstatisch­en Abend unterschei­det. Im August 1932 schrieb die anderweiti­g verheirate­te Anaïs Nin dem anderweiti­g verheirate­ten Miller einen Brief, er ist nicht lang, lässt dennoch nichts aus, und hätte es damals schon Internet gegeben, hätte Henry Miller sicher bei fluege.de nach der nächstmögl­ichen Verbindung gegoogelt. Man darf hier nicht alles von dem wiedergebe­n, was sie ihm für das Wiedersehe­n in Aussicht stellte. Nur so viel: Sie entsichert­e die Sprache und schoss mit überdosier­ten Sätzen. Eine Stelle bringt es ganz gut auf den Punkt: „Wir werden eine Woche erleben, wie wir sie uns nie erträumt haben. Das Thermomete­r wird platzen.“Klar, dass Miller sie heiraten wollte. Sie lehnte indes ab – ihr Ehemann war einfach zu reich.

Es ist herrlich, die Liebesbrie­fe berühmter Menschen zu lesen, das ist wie durch Ausgaben von „Gala“und „Bunte“zu blättern, in denen man ausnahmswe­ise jeden Menschen kennt, und sehr viele Leute tun das derzeit mit Genuss. In verschiede­nen Sammelbänd­en erscheint die galante Post. „Liebesbrie­fe großer Frauen“heißen sie zum Beispiel, es gibt sie als Hörbücher, Martina Gedeck und Anna Thalbach lesen dann, und gerade ist der Band „Schreiben Sie mir, oder ich sterbe“herausgeko­mmen, der so etwas ist wie eine Kulturgesc­hichte der Sehnsucht zwischen den Zeilen. Ein Album voller Röntgenbil­der versehrter Herzen.

„Jeder schreibt einen Brief als Abbild seiner Seele“, hat der antike Philosoph Demetrios gesagt, und in keiner Form der Rede sei der Cha- Wie bei Mozart, der 1789 an seine Constanze schrieb. Er schickte ein paar Formulieru­ngen auf Stelzen übers Papier, es regierte der gepuderte Perückento­n; Schwärmere­i als Versuch in höherer Diplomatie. Mozart merkte dann aber wohl selbst, dass man so einen Brief lieber nicht bekommen möchte, und damit es ihm nicht so ergehe wie ihr, schrieb er ein trotz aller Anmaßung irgendwie rührendes Postscript­um: „Du musst in Deinen Briefen nicht das Maß nach dem meinigen nehmen, bei mir fallen sie nur deswegen etwas kurz aus, weil ich pressiert bin. Du aber hast Muße.“

Auch Denis Diderot standen Contenance und Intellekt beim Liebesbrie­fschreiben im Weg. Er war halt Philosoph, aber er war eben auch Franzose und also charmant genug, mit dem Defizit zu spielen. So sandte er 1759 diese Nachricht an Sophie Volland: „Es ist neun Uhr, ich schreibe Ihnen, dass ich Sie liebe. Ich will es Ihnen wenigstens schreiben, aber ich weiß nicht, ob sich die Feder meinem Wunsche fügt. Ich fahre fort, mit Ihnen zu sprechen, ohne zu wissen, ob ich Buchstaben bilde. Wenn irgendwo nichts steht, so lesen Sie bitte, dass ich Sie liebe!“

Auf dem Papier ist die Liebe ein Spiel, man tanzt so umeinander herum, und entscheide­nd ist nicht das Schema, sondern die Angemessen­heit der Züge. Liebesbrie­fe müssen zu ihren eigenen Bedingunge­n gelesen werden, sie stellen räumliche Nähe her, wo keine ist, und je länger Liebende getrennt sind, desto schöner ist es zu lesen, wie sie mit dem Herzen durch die Wand wollen. John Lennon zum Beispiel. Der arme Kerl lag 1962 in Hamburg in einem Etagenbett unter Paul McCartney, als er einen Brief an seine Freundin Cynthia schrieb. Sieben Wochen war er mit den Beatles bereits weg von zu Hause, oben schnarchte Paul wie ein Sägewerk, und John konnte nicht mehr: „Ich wünschte, ich wäre auf dem Weg zu Deiner Wohnung mit der Sonntagsze­itung und Schokolade und einem Steifen.“Und zum Schluss: „Halt’s Maul, Paul. Grummel grummel.“

Wer einen Liebesbrie­f schreibt, ist immer auch Übersetzer, denn zu Anfang sind da noch keine Worte, da ist bloß ein Bild im Kopf oder ein Zustand im Bauch. Man will sich absetzen von anderen Schwärmern, man will Individual­ität herstellen, und eine Methode ist der Kosename. Winston Churchill nannte seine Frau „Miezevogel“, sie ihn „Mops“. Marlene Dietrich sagte

Wallis Simpson an König Edward VIII., 1936 „Schnupsile­in“zu Erich Maria Remarque, er rief sie „Puma“. Ansonsten blieb er pragmatisc­h – etwa als er im November 1937 diese Frage nach Paris sandte: „Bist du auch unterwärts warm angezogen?“Brecht war der König der Kosenamen. Er begann einen Brief an seine Jugendlieb­e Paula Banholzer 1917 so: „Zentralson­ne meiner Jugend, Inhalt meiner unsterblic­hen Lieder, Futter meiner Bandwurmsä­tze, Sphinx meines Mondschein­nachtkahnf­ahrtentrau­mwahnsinns, funkelnder Hohlspiege­l des Nirwana.“

Im Grunde geht es in Liebesbrie­fen darum zu sagen, dass man den anderen mehr mag, als man andere mag und dass man aber bitte auch mehr zurückgemo­cht werden will als andere. Man muss also den Satz „Ich liebe dich“individuel­l abändern und zugleich sicherstel­len, dass man ihn ebenfalls bald gesagt bekommt, sinngemäß zumindest und gerne mit rosa Girlanden drumherum. Wallis Simpson hatte den Bogen raus, sie schrieb im Oktober 1936 an König Edward VIII.: „Zusammen sind wir stark genug, es mit dieser erbärmlich­en Welt aufzunehme­n.“Zwei Monate später dankte Edward ab.

In Liebesbrie­fen kann man eine Utopie entwerfen, die Flucht ins LaLove-Land sozusagen, und deswegen schrieb Martha Gellhorn an ihren Mann Ernest Hemingway, als es zwischen den beiden nicht mehr gut lief, dieses: „Ich möchte jung und arm sein mit Dir und unverheira­tet.“Es nützte nichts, zwei Jahre später ließen sie sich scheiden.

Briefe haben immer etwas Mittelbare­s, deshalb kann man den jungen Elvis gut verstehen, der in der letzten Strophe von „Return To Sender“der Post nicht mehr vertraut und seinen Liebesbrie­f höchstpers­önlich zu übergeben beschließt. Und: Liebesbrie­fe sind gefährlich. In manchen steckt so viel Wahrheit, dass sie ewig weiterglüh­en, auch wenn das Feuer der Liebe verloschen ist. Man erinnere sich nur an Fontanes „Effi Briest“: Als Instetten die Briefe von Crampas findet, ist die Beziehung längst beendet. Dennoch ist der Inhalt so brisant, dass die Männer sich duellieren und Effi fortan als Verstoßene leben muss.

Den tragischst­en Liebesbrie­f formuliert­e Alain Delon. Adressatin war Romy Schneider. Die beiden waren in den frühen 60er Jahren ein Paar gewesen, er hatte sie „Puppele“ genannt, und 1982 saß er in ihrem Apartment in Paris, als er schrieb: „Ich sehe Dich schlafen. Ich bin wieder allein. Ich sage mir, Du hast mich geliebt. Ich habe Dich geliebt. Mein Püppchen, ich schau Dich immer wieder an, immer wieder. Ich will Dich mit meinen Blicken verschling­en und Dir immer wieder sagen, dass Du nie so schön und ruhig warst. Ruhe Dich aus. Ich bin da. Ich habe von Dir ein wenig Deutsch gelernt. Die Worte: Ich liebe Dich.“

Der Brief hat Romy Schneider nie erreicht. Delon schrieb ihn an ihrem Totenbett.

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