Wohnsitz, Folterkammer, Sektendomizil
Mit der Koburg oberhalb des Mettmanner Bachtales im Diepensiepen ist eine wechselvolle Geschichte verbunden.
METTMANN Begonnen hatte die später so abenteuerliche Geschichte mit der soliden Grundsteinlegung vor beinahe 100 Jahren durch den Mettmanner Fabrikanten Wilhelm Kocherscheidt. Der wiederum hatte dem imposanten Bauwerk seinen Namen verliehen und aus Kocherscheidts Burg wurde bald schon die Koburg. Diente das Haus anfangs mehreren Generationen als Wohnstatt, so zog die Familie später an den Niederrhein.
„Es wurde viel gelesen, auch zusammen mit der Familie“
Ulla Schmidt
Enkeltochter
Bei ihrem Besuch im Stadtarchiv vor einigen Jahren brachte Familienmitglied Ulla Schmidt ihre Erinnerungen zu Papier: „Im ersten Stock war eine große Diele, geradeaus das Büro meines Großvaters und die Bibliothek. Es wurde viel gelesen, auch zusammen mit der Familie“, erinnerte sich die Enkeltochter des Bauherrn. Links habe das Elternschlafzimmer mit Bad und Bidet gelegen, daneben das Musikzimmer und ein Wohn- und Speisezimmer. „Im rechten Trakt war „Mutters Kinderzimmer“mit einem Kämmerchen daneben, das als Vorraum genutzt wurde“, weiß Ulla Schmidt.
In der zweiten Etage habe in einem Seitenflügel hinter dem Bügelzimmer das Küchenmädchen gewohnt, im anderen Flügel waren zwei Zimmer für die Hausdame. Im geraden Teil hatten die Kinder ihre Zimmer, der jüngste Sohn schlief noch bei den Eltern. Hinter dem Haus am Berg stand ein Gewächshaus. Dort wurden unter anderem Tomaten gezogen. „Als die Kinder sie das erste Mal sahen, freuten sie sich ungeheuer auf das Probieren. Sie waren allerdings sehr enttäuscht, weil die Tomaten nicht süß waren, wie sie es erwartet hatten“, erzählte die Enkeltochter Wilhelm Kocherscheidts aus ihren Erinnerungen. Die Kinder der Familie seien in Mettmann zur Schule gegangen und waren dorthin meist zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der Bahn unterwegs.
Später dann war Wilhelm Kocherscheidt der erste Mettmanner, der sich ein Automobil leisten konnte. Und nicht nur, dass er sich eine sol- che Karosse anschaffte, er hatte noch dazu einen Chauffeur - er war zu diesem Zeitpunkt nämlich noch ohne Führerschein.
Zwischenzeitlich wollte die Familie nach Brasilien auswandern. Koffer und Kisten waren gepackt und ein Teil des Gepäcks war bereits auf
Ulla Schmidt den Seeweg gebracht. Dann wurde der Hausherr krank und die Auswanderungspläne wurden verworfen. Bald war ein weiterer Schicksalsschlag zu verkraften: Ein Schwager Kocherscheidts, für den der eine Bürgschaft übernommen hatte, wurde zahlungsunfähig. Die Bürgschaft musste eingelöst werden, so dass der Fabrikant selbst in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Die Bank übernahm das Haus und die Familie zog in ein Einfamilienhaus am Kolben.„Der große Garten hin- ter dem Haus ist heute der Parkplatz des Getränkehandels“, erinnert sich Ulla Schmidt. Von dort aus ging es in das Missionshaus auf der Kaiserstraße und später nach Kempen am Niederrhein, wo Wilhelm Kocherscheidt bis zu seinem Tod im Jahre 1956 seine Werkzeugfabrik führte.
Die Koburg machte hingegen weiter von sich Reden. Im Jahre 1933 wurde das dunkelste Kapitel aufgeschlagen: Das Gebäude wurde zur Folterkammer der SA. In diese Zeit fiel auch der Tod eines Hildener Arbeiters, der auf der Koburg gefoltert wurde. Im Wuppertaler Prozess von September 1948 bis Juli 1949 wurden mehr als 140 Zeugen zu den Folterungen und Misshandlungen vernommen. Seit diesem Zeitpunkt ist auch die Bauakte der Koburg verschwunden. Nach Kriegsende richteten die Alliierten dort vorübergehend ein Fremdarbeiterheim ein, in den 50er Jahren wurde die Koburg zum Gymnasium für Kinder wohlhabender Eltern. Im Jahre 1965 wurden dort türkische Mitarbeiter der Fordwerke untergebracht, später übernahm die Firma Georg Fischer das Gebäude für ihre ausländischen Arbeitnehmer. Im ehemaligen Emp- fangs- und Festsaal entstand eine Moschee. „Den Boden der Moschee hatte man vollständig mit Teppichen ausgelegt und mit feinen Silberfäden aufgeteilt, um jedem Besucher einen Platz zu sichern. Das war notwendig, damit man bei den Verneigungen nach Mekka nicht aneinander geriet“, erinnert sich Zeitzeuge Heinz-Werner Becker. Im Herbst 1981 erwarben die World Peace Academy und die Organisation CARP die Koburg für die MunSekte. Danach versprach eine Beauty-Farm faltenfreie Haut und exklusives Wellness-Vergnügen.
Vor Jahren dann wurde die Koburg für 3,5 Millionen Euro auf Im- mobilienportalen angeboten. Saniert, mit neun weiß marmorierten Bädern, Natursteinböden und insgesamt 40 Zimmern auf 1500 Quadratmetern Wohnfläche.
Die Suche blieb offenbar erfolglos, seit beinahe 20 Jahren hat es im Diepensiepen keinen Eigentümerwechsel gegeben.
„Wo sich der Parkplatz befindet, erstreckte sich
früher der Garten“
Enkeltochter