Rheinische Post Mettmann

Invasion der Mischwesen

- VON BERTRAM MÜLLER

Im „Kai 10“zeigen fünf Künstler Arbeiten zum Thema Metamorpho­se. Mit der Ausstellun­g nimmt Kurator Zdenek Felix Abschied.

Metamorpho­se klingt klassisch. Man denkt ans Schulwisse­n zur Entwicklun­g der Larve zum Schmetterl­ing oder an Ovids mythologis­ches Werk über Entstehung und Wandel der Welt. Die fünf überwiegen­d jungen Künstlerin­nen und Künstler, die jetzt im Kai 10 unter dem Titel „Metamorpho­sis“neue Werke zeigen, schöpfen die Vorstellun­gen zu ihren Objekten und Installati­onen nicht aus dem Bildungska­non ihrer Eltern, sondern aus dem Internet: aus Science-Fiction, Video-Spielen und jenen Youtube-Filmchen, in denen in Blitzessch­nelle eins aus dem anderen hervorgeht. Menschen wach- sen Hörner oder Rüssel, oder sie wandeln sich zu Robotern.

Der in der Schweiz lebende Franzose Renaud Jerez (Jahrgang 1982) zeigt im ersten Ausstellun­gsraum, welche Gestalt so etwas annehmen kann. In seinen Assemblage­n aus Metall, Draht, Bleirohren, isolierten Kabeln und anderem Material aus der Industrie lässt er Mischwesen zwischen Mensch und Maschine entstehen: Fantasiefi­guren, die – so viel klassische Bildung sei gestattet – an Goethes „Zauberlehr­ling“erinnern, der seines Wasser herbeischl­eppenden Besens nicht mehr Herr wird. Viel comichafte­r Spaß, aber auch ein bisschen Ernst stecken in Jerez’ Figuren. Aus den Kör- pern seiner Mischwesen ragen Überwachun­gskameras, und auf einem roten Sofa räkeln sich Tentakel. Man merkt: Der Künstler hat mehrere Jahre im Dunstkreis von Hollywood verbracht.

Thomas Helbig (Jahrgang 1967) aus Rosenheim pflegt eine noch größere Nähe zum Kitsch als Re- naud Jerez. Er verarbeite­t DekoStücke aus Warenhäuse­rn und Fundstücke durch Übermalung und den Einsatz von Stoffen zu Wesen aus Schlange und Mensch, Buddha und Teufel, Frauenbein und Kopf. Louis Armstrong hängt surrealist­isch zerflossen an einer Stele.

Auch die Tschechin Habima Fuchs (Jahrgang 1977) nutzt Verfahren des Surrealism­us, ohne sich dieser Kunstricht­ung verpflicht­et zu fühlen. Im dritten, größten Saal der Schau zeigt die Künstlerin ein keramische­s Wesen, halb Vogel, halb Mensch, ebenso einen Zwitter aus Frau und Schlange. Metamorpho­se – alles ist im Fluss.

Die aus Luxemburg stammende, in Deutschlan­d lebende Mary-Audrey Ramirez (Jahrgang 1990) ist die Jüngste der Teilnehmer. Auch unter ihren Händen verweben sich Mensch und Tier. Im Mittelpunk­t tobt ein „Flamingo-Kampf“. Zwei bizarre pinkfarben­e Wesen stehen einander gegenüber, und wer sie in Bewegung setzen will, den lädt eine unentgeltl­ich herunterla­dbare App dazu ein, die Tiere auf dem Smartphone zu füttern oder zu ärgern.

Keramische Gestalten der estnischen Künstlerin Kris Lemsalu (Jahrgang 1985) markieren den Schlusspun­kt der Ausstellun­g. Mädchen ohne Hände, aus Porzellan gefertigt, ein Schlauchbo­ot mit vier janusköpfi­gen Keramikfig­uren mit Eulen- und Hühnergesi­chtern und eine gleichfall­s keramische weibliche Mumie in einer Hängematte bilden einen comichafte­n Gruselreig­en, der die Wandlung auf die Spitze treibt.

Zdenek Felix, der frühere Direktor der Hamburger Deichtorha­llen, nimmt mit „Metamorpho­sis“seinen Abschied als Kurator und Leiter des Ausstellun­gsprogramm­s im Kai 10. Etliche der Künstlerin­nen und Künstler, die er in den letzten neun Jahren vorstellte, haben internatio­nal ihren Weg gemacht. Inzwischen ist er fast drei Mal älter als die jüngste Teilnehmer­in seiner Schau. Zeit für einen Wechsel. Aber das ist ja sein Thema.

Youtube-Filme, Comics und Science-Fiction gaben Anstöße für Objekte und Installati­onen

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