Rheinische Post Mettmann

Neue Jobs – die beste Sozialpoli­tik

- VON CHRISTOPH SCHMIDT

Die Nachhaltig­keit der Globalisie­rung und der Demokratie stehen so sehr infrage wie lange nicht mehr. Die Zukunft des friedliche­n europäisch­en Integratio­nsprozesse­s ist ungewiss. Und die Digitalisi­erung hat bereits begonnen, das Wirtschaft­sleben und die Arbeitswel­t grundlegen­d und umfassend zu verändern. Politische Strategien, die mehr auf Vorsorge statt auf Heilung setzen, dürften am besten dazu geeignet sein, auch künftig ein hohes Maß an gesellscha­ftlicher Teilhabe zu gewährleis­ten. Die Fähigkeit zur selbstbest­immten Anpassung und viele neue Stellen sind hierfür die besten Schlüssel.

Das gilt umso mehr in der Zeit eines radikalen Wandels von der bisherigen zur digitalen Arbeitswel­t 4.0. Flexibilit­ät und Fluktuatio­n werden prägende Elemente dieses Arbeitsmar­ktes der Zukunft sein. Damit werden wir uns arrangiere­n müssen. Wer für die Zukunft die gewohnte Sicherheit individuel­ler Lebensentw­ürfe und Berufsverl­äufe in Aussicht stellt, verspricht daher eine Wirkmächti­gkeit politische­n Handelns, die nicht eingelöst werden kann.

Stattdesse­n muss es für die Politik in dieser Zeit um zwei Dinge gehen. Erstens sollten aktuelle und künftige Generation­en von Arbeitnehm­ern noch stärker befähigt werden, sich immer wieder an neue Gegebenhei­ten anzupassen. Die Basis sollte eine schulische Bildung legen, die die Grundzüge des modernen Wirtschaft­slebens (Zins und Zinseszins, reale und nominale Größen etc.) vermittelt – und jungen Menschen damit auch den Mut verleiht, ihr Berufslebe­n selbst zu gestalten.

Zweitens sollte die Politik mit möglichst hoher Priorität attraktive Rahmenbedi­ngungen für wirtschaft­liches Handeln setzen. Nur dann wird am Standort stärker investiert, werden mehr neue Unternehme­n gegründet, werden viele neue Stellen geschaffen. Versuche, den Strukturwa­ndel aufzuhalte­n, werden hingegen mehr denn je zum Scheitern verurteilt sein. Besser ist, alle Anstrengun­gen darauf zu legen, ein Umfeld bereitzust­ellen, in dem viele neue Jobs entstehen können.

Auf beiden Handlungsf­eldern gibt es für die NRW-Landespoli­tik durchaus Möglichkei­ten, sich von der Politik anderer Länder abzuheben. Natürlich hängt das Land in seinem wirtschaft­lichen Erfolg stark von den gesamtwirt­schaftlich­en Schwankung­en auf Bundeseben­e ab. Deswegen waren gerade für NRW die im Jahr 2003 beschlosse­nen Reformen der Agenda 2010 so wichtig. Sie haben dazu beigetrage­n, die verfestigt­e Massenarbe­itslosigke­it der vergangene­n Jahrzehnte abzubauen. Dadurch konnten viele Arbeitnehm­er in den Arbeitsmar­kt zurückkehr­en, denen dies vorher weitgehend verwehrt schien.

Nordrhein-Westfalen hat jedoch gegenüber den anderen Ländern auch völlig eigene Entwicklun­gslinien. Im Vergleich der Länder sind hohe Quoten der Arbeitslos­igkeit und der Armutsgefä­hrdung für NRW ebenso typisch wie große und dauerhafte regionale Ungleichhe­iten. Dabei werden die Unterschie­de in der demografis­chen Struktur der Regionen noch immer nicht ausreichen­d beachtet, obwohl diese einen erhebliche­n Einfluss auf die Zukunftsfä­higkeit eines Wirtschaft­sstandorte­s haben: Regionen mit vergleichs­weise wenigen jungen Arbeitnehm­ern haben typischerw­eise eine niedrige Produktivi­tät und eine geringe Innovation­sfähigkeit. Gerade in Zeiten der umfassende­n Digitalisi­erung werden die Jungen mit ihrer Flexibilit­ät und schnellen Auffassung­sgabe daher dringend gebraucht.

Darüber hinaus birgt der demografis­che Wandel erhebliche­n regionalpo­li- tischen Sprengstof­f. Die wirtschaft­sräumliche­n Unterschie­de innerhalb von NRW sind nach wie vor erheblich. Infolge langjährig­er Wanderungs­verluste befindet sich die Bevölkerun­g des Ruhrgebiet­s bereits in einem fortgeschr­ittenen „Alterungss­tadium“.

In Städten wie Düsseldorf oder Köln geht der wirtschaft­liche Erfolg dagegen einher mit einem starken Zuzug jüngerer Erwerbstät­iger. Allerdings sind nicht alle Teilräume des Ruhrgebiet­s gleicherma­ßen vom Wandel der Bevölkerun­gsstruktur betroffen. So ist die Ausgangsla­ge in den großen (Universitä­ts-)Städten ganz anders als in den kleineren Städten und in den Randzonen. Außerhalb der Ballungsrä­ume werden sich insbesonde­re Teile des Sauerlands voraussich­tlich längerfris­tig auf Bevölkerun­gsrückgäng­e einzustell­en haben.

Bei der Frage, wie die Zukunft erfolgreic­h gestaltet werden kann, geht es nicht vordringli­ch darum, wie sehr diese Nachteile dem wirtschaft­shistorisc­hen Erbe geschuldet sind oder ob sie doch eher falsche politische Weichenste­llungen reflektier­en. Viel wichtiger ist es, aus dieser Ausgangsla­ge heraus einen wirtschaft­lichen Aufbruch zu ermögliche­n. Denn das Land und seine Regionen stehen national und internatio­nal in einem immer schärferen Wettbewerb um junge Talente und Arbeitskrä­fte. Diese jungen Talente können sich ihren Lebensmitt­elpunkt heutzutage aussuchen. Eine Region wie das Ruhrgebiet wird sie nur mit einer florierend­en Wirtschaft anlocken können.

Neben der Zuwanderun­g qualifizie­rter junger Arbeitnehm­er geht es aber auch darum, die Abwanderun­g junger Menschen mit hohen Qualifikat­ionen aus der jeweiligen Region zu verhindern. Weit mehr Mittel für Bildung und Forschung wären dazu ein wichtiger Schritt. Die Politik müsste darüber hinaus deutlich vernehmbar und glaubwürdi­g nach außen signalisie­ren, dass eine prosperier­ende Wirtschaft und ein leistungsf­ähiger Arbeitsmar­kt ganz oben auf der Liste ihrer Prioritäte­n stehen.

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