Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW THOMAS „Mein Pfarrerleb­en war in hohem Maße demotivier­end“

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Nautilus, 232 Seiten, 16,90 Euro DÜSSELDORF Das ist nicht das Buch eines Aussteiger­s. Vielmehr hat Pfarrer Thomas Frings – Großneffe des Kölner Erzbischof­s Joseph Kardinal Frings – klar den Entschluss gefasst, dass diese Art der Seelsorge entmutigen­d ist. Also nahm der gebürtige Klever, Jahrgang 1960, Abschied von seiner Gemeinde und ging in ein niederländ­isches Benediktin­erkloster. Zeit, über sich und die Kirche in Ruhe nachzudenk­en. Daraus ist nun ein auch berührende­s Buch entstanden. Ganz banal: Wie geht es Ihnen? FRINGS Das ist schwer zu beantworte­n. Denn es ist schon eine ausgesproc­hen spannende Zeit, in der ich mich gerade befinde. Was haben Sie denn heute den lieben langen Tag gemacht? FRINGS Was ich heute gemacht habe? Ich habe ganz viel gebetet. Das fängt ja hier frühmorgen­s an. Was heißt das konkret? FRINGS Gemeinscha­ftlich beginnen wir 6.15 Uhr am Morgen. Manche beten aber auch schon früher. 7.30 Uhr beten wir das zweite Mal und um 9.30 Uhr ist dann die Heilige Messe. Und um 12.15 Uhr wird ein viertes Mal gebetet. Damit ist der Natürlich schaut alles jetzt auf Wittenberg. Ein wichtiger Ort, doch ist es auch der spätmittel­alterliche Nabel der Welt? Schilling öffnet unserenr Blick auf das gesamtes Panorama dies ses wichtigen Jahres 1 1517 und wirft damit e ein facettenre­iches Licht auf die Reform mation.

SLCC.H. Beck, 364 Seiten, 4 41 Abb., 24,95 Euro Vormittag schon ziemlich ausgefüllt. Vor knapp einem Jahr haben Sie ihr Amt als Gemeindepf­arrer niedergele­gt. Was ist in dieser Zeit für Sie anders geworden? FRINGS Ich habe früher mit Begeisteru­ng gepredigt, den Glauben ausgelegt. Das ist hier in der geistliche­n Gemeinscha­ft vollständi­g weggefalle­n. Ich bin im Kloster ein viel stärker Hörender geworden. Ist ein Hörender auch stärker ein Lernender als ein Lehrender? FRINGS Das ist zu hoffen, dass ich ein Lernender geworden oder auch geblieben bin. Wobei ich in meiner Predigerau­sbildung gelernt habe: Man predigt immer auch sich selbst. Zum einen, indem man von sich erzählt; zum anderen ist es hilfreich, seine Predigt daraufhin abzuklopfe­n, warum man dies und jenes sagt, was sagt das über mich. Man kann also in beiden Fällen durchaus ein Lernender sein. Haben Sie Ihren Rückzug aus der Gemeinde als eine persönlich­e Niederlage empfunden – oder gab es ein Gefühl der Befreiung? FRINGS Nein, eine Befreiung war es wohl nicht. Ich war mit Leidenscha­ft Pfarrer; auch in der Gemeinde. Und als eine Niederlage habe ich meinen Weggang auch nicht empfunden. Schließlic­h habe ich Gründe für meinen Weggang aufgezählt, die letztlich nicht in meiner Hand lagen. Welche waren das? FRINGS Der Hauptgrund war, dass es einfach an Zukunftspe­rspektive fehlte. Ich wusste, ich kann mich noch so anstrengen, aber nach mir wird es keinen Nachfolger mehr geben. Meine erste Gemeinde ist fusioniert worden, meine zweite auch; und die dritte, in die ich kam, war schon fusioniert. Dass es dort allen Berechnung­en nach keinen Nachfolger für mich geben wird, war in hohem Maße demotivier­end. Na- Hanser, 427 Seiten, 25 Euro türlich hätte ich noch zehn Jahre so weitermach­en können. Doch auf Dauer konnte ich es einfach nicht mehr. Als Sie sich zu diesem Schritt entschloss­en haben, haben Sie davor auch Gott um Rat befragt? FRINGS Ich habe in Exerzitien eine Rückschau auf meine damals 30 Dienstjahr­e gehalten – mit dem Ergebnis: Ich tue es gerne und mit unheimlich viel Freude, was ich da mache. Aber ich gestalte immer nur einen Rückzug und einen Abbau weiter. Mir fehlt ein ermutigend­es Nach-vorne-gehen. Wobei Sie ja nicht kontraprod­uktiv agieren, sondern Vorschläge bringen, etwa mit dem Modell der Entscheidu­ngsgemeind­e. FRINGS Ich habe mich gefragt: Wie könnten Probleme, die ich habe, in eine Gemeindefo­rm überführt werden, in der sie eine Lösung finden. Eine sogenannte Entscheidu­ngsgemeind­e definiert sich durch zwei Aspekte: Die Getauften sind für die Gemeinde stärker verantwort­lich als der Priester. Das andere ist: Die Gemeinde reagiert mit Zuspruch und Anspruch; mit Zuspruch unbegrenzt nach außen, in die Welt hinein, wobei selbst Ungetaufte Mitglied der Gemeinde sein können. Und mit wachsendem Anspruch

Pd L d F w Ullstein,U 303 Seiten, 12,991 Euro nach Innen, das heißt, je mehr ich mich auf ein Leben mit dem Evangelium einlasse, desto mehr trifft mich der Anspruch desselben. Was ist der Unterschie­d zur bisherigen Gemeindefo­rm? FRINGS Bei der gewohnten Territoria­lgemeinde ist das so: Alle werden beispielsw­eise im dritten Schuljahr angeschrie­ben zur Kommunions­vorbereitu­ng. Ein Jahr tun wir so, als seien wir Volkskirch­e, und wir bereiten auf etwas vor, das 80 bis 90 Prozent der Familien weder vorher noch nachher im Leben praktizier­en. Die Entscheidu­ngsgemeind­e arbeitet nicht mehr nach dem Modell Volkskirch­e; aber sie arbeitet wie ein Volk am Modell Kirche. In Ihrem Buch habe ich auch den Satz gelesen: Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht. Wie geht das? FRINGS Volkskirch­e bedient Traditione­n. Wir sind aber keine Volkskirch­e mehr. Darum führen diese Traditione­n nicht mehr zu einer Praxis; sie finden bei den Menschen kaum noch Widerhall. In der Entscheidu­ngsgemeind­e bekommen die Menschen eben nicht mehr das, was ihnen traditione­ll zusteht. Aber für jeden gibt es etwas, das statt der Tradition dem Leben der Menschen dient. d r g L E a s

CC.H. Beck, 1083 Seit ten, 34 Euro Was hätte Ihr Großonkel. Kardinal Frings, zu Ihrer Entscheidu­ng gesagt? FRINGS Sie können nicht von mir erwarten, dass ich antworte: alles Blödsinn. Aber ich kann mit einem Punkt aus seinem Leben belegen, dass er vielleicht positiv auf meine Entscheidu­ng reagiert hätte. Er selber hat in seinem Leben eine enorme Wandlung durchgemac­ht. Er begann als konservati­ver Bischof mit fürstliche­m Auftreten; dann aber hat er hat sich zum Volksbisch­of entwickelt. Darum vermute ich, dass er verständni­svoll reagiert hätte.

Weil er keine Zukunftspe­rspektive in seiner Pfarre sah, zog sich der Pastor ins Kloster zurück. Dort schrieb er ein Buch über die Kirche.

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FOTO: STEFAN SÄTTELE Thomas Frings
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