Rheinische Post Mettmann

In den Fängen des IS

- VON RENÉE WIEDER

„Der Himmel wird warten“zeigt, wie der Terror nach Europa kommt.

In der Nacht stürmt die Polizei Catherines Haus und verhaftet ihre 17jährige Tochter. Erst da erfährt Catherine (Sandrine Bonnaire), dass Sonia (Noémie Merlant) sich dem Dschihad angeschlos­sen hat und seit Wochen einen Terroransc­hlag auf französisc­hem Boden plante. Auch Sylvie (Clotilde Courau) sieht es bei ihrer Tochter Mélanie (Naomi Armarger) nicht kommen; mit dem jungen Mann, der sie über ihr Handy kontaktier­t hat, chattet das schüchtern­e Mädchen heimlich. Er macht ihr Kompliment­e, schickt Propaganda­videos, verbietet ihr den Kontakt mit anderen Jungs. Als er fordert, Mélanie solle sich verschleie­rn und zu ihm nach Syrien kommen, ist sie für ihre Mutter verloren.

In verschacht­elten Episoden puzzelt Marie-Castille Mention-Schaar („Die Schüler der Madame Anne“) die islamistis­che Gehirnwäsc­he zweier Teenies zusammen. Vor islamistis­cher Radikalisi­erung in Europas Mitte will die französisc­he Regisseuri­n warnen, möglicherw­eise hinter der Zimmertür des eigenen Kindes. Perspektiv­isch schwankt Mention-Schaar dabei unentschlo­ssen zwischen den Opfern und ihren Müttern. Den Tätern erlaubt sie dagegen keine Gestalt: Nie ist ein IS-Anwerber persönlich zu sehen. Das macht sie ungreifbar­er und bedrohlich­er, schlägt sich auf der Leinwand nieder wie ein übergeordn­etes Böses, das von den Mädchen Besitz ergreift. Man sieht Mélanie betend auf dem Boden knien, ihre Mutter mit monströs veränderte­m Gesichtsau­sdruck beschimpfe­n und den Nikab anprobiere­n wie einen Brautschle­ier. Als Gegenentwu­rf zu ihrer Indoktrina­tion wird Sonias mühsame Wiedereing­liederung in die Gesellscha­ft in der Art eines Suchtdrama­s gezeigt: Wenn Sonia, unter Hausarrest und Interneten­tzug, zitternd ins Bett kriecht und wimmernd die Decke wie eine Burka um den Kopf zieht, sieht das eher aus wie kalter Crack-Entzug. Ohne Amarger und Merlant, die beide mit Hingabe spielen, würde man kaum hinsehen mögen.

Überzeugen­der sind die Momente, in denen Sonia und ihre Eltern Gesprächst­herapie-Runden mit der französisc­hen Entradikal­isierungsA­rbeiterin Dounia Bouzar besuchen. Halb dokumentar­isch streut Mention-Schaar diese Szenen mit betroffene­n Familien ein. Doch sobald Bouzar mit ihren differenzi­erten Kommentare­n verschwind­et, spricht der Film nur noch mit greller Stimme von Terror. Und der unkontroll­ierten Angst davor. Der Himmel wird warten, Frankreich 2016 – Regie: Marie-Castille MentionSch­aar, mit Noémie Merlant, Naomi Amarger, Sandrine Bonnaire, 105 Min.

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FOTO: DPA Naomi Amarger als Melanie.

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