Europa braucht Sex-Appeal
Europa, was ist mit dir los? Das hat Papst Franziskus im Mai 2016 die Europäer gefragt. Heute, zum 60. Geburtstag der Römischen Verträge, muss man konstatieren: nicht viel. Die Zustimmung zur EU bröckelt. In den Gründerstaaten Frankreich und Italien spricht sich nur eine knappe Mehrheit für die Union aus. Quer über den Kontinent reüssieren die Anti-Demokraten, die Wächter des nationalen Gartenzauns, die Abschotter und Ausgrenzer. Das „Friedensprojekt“, das stets als Anspruchsgrundlage für die Integration hochgehalten wird, wirkt gestrig. Für die junge Generation, auf die es ankommt, ist es selbstverständlich.
Der „feste Wille, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen“, wie es in der Präambel zu den EWGVerträgen von 1957 heißt, ist vielerorts dem Willen zur Segregation gewichen. Politiker, die mit dem Presslufthammer das Wertefundament der Gründungsväter aufbrechen, erzielen hohe Zustimmungswerte.
Menschen kämpfen verbissen gegen Impfungen oder für Homöopathie. Aber wer geht für Europa auf die Straße? Die EU braucht ein Narrativ, für das es sich zu kämpfen lohnt. Europa braucht Sex-Appeal. Eine Vision aus Leidenschaft. Warum ist das Ganze mehr als die Summe der Einzelteile? Dazu gehört sicher ein neuer EU-Vertrag. Auf jeden Fall eine Reform der Institutionen. Eine kleine, aber starke Kommission. Mehrheitsprinzip statt zäher Konsens der 27er-EU. Ein einflussreiches Parlament. Eine europäische Souveränität bei den großen Themen Finanzpakt, Verteidigungsunion, Binnenmarkt. Weniger Europa, wo vor Ort bessere Entscheidungen getroffen werden. Subsidiaritätsprinzip eben. Dann werden die Pro-Europäer auch wieder lauter. Sie sind ja da. Sie wollen nur geweckt werden.
Außenminister Gabriels erste Fehler
In den ersten Wochen als Außenminister hat Sigmar Gabriel nicht nur körperlich eine ganz ordentliche Figur gemacht. Doch jetzt hat er erste, schlimme Fehler begangen. Erst schlug Gabriel allen Ernstes vor, Deutschland solle einfach mal freiwillig, ohne große Verhandlungen, mehr Geld in die EU-Töpfe überweisen. Dann vermasselte er seinem CDU-Kollegen Wolfgang Schäuble auch noch die Griechenland-Strategie. Gabriel reiste nach Athen und sagte den erfreuten Griechen, sie hätten jetzt genug unter Reformen und Sparkurs gelitten, weitere Hilfsmilliarden sollten endlich bewilligt werden.
Dass Schäuble darauf not amused reagierte, ist verständlich. Der Finanzminister ist in der Bundesregierung federführend bei Griechenland. Alle anderen Regierungsmitglieder haben das bisher respektiert, Gabriels Vorgänger Steinmeier hielt sich zurück, und selbst die Kanzlerin überlässt Schäuble das Feld. Dass Gabriel plötzlich wie aus dem Nichts dazwischengrätscht, ist für Schäuble nur zu ärgerlich.
Denn die Verhandlungen mit Athen über die Bedingungen weiterer Auszahlungen stehen gerade jetzt Spitz auf Knopf. Von der Aufrechterhaltung des Reformdrucks hängt es ab, wie weit sich die griechische Regierung auf weitere Reformschritte einlässt. Die sind notwendig, wenn die GriechenlandRettung überhaupt noch irgendwann gelingen soll.
Richtig ist, dass den Griechen viel zugemutet worden ist. Sie haben sich aber immer wieder für den Verbleib im Euro entschieden. Euro-Mitglied kann Griechenland wiederum nur bleiben, wenn es fit genug wird, um sich wieder Geld am Kapitalmarkt leihen zu können. Ein Leben auf Kosten der anderen wird nicht ewig gehen können. Deshalb braucht es Reformen und die Reduzierung des zu teuren Staatssektors. Deshalb hat Schäuble recht und nicht Gabriel. BERICHT