Rheinische Post Mettmann

Die Tragödie des Mettmanner „Wolfsjunge­n“

- VON SABINE MAGUIRE

Im August 1988 meldete die RP, dass der damals dreijährig­e Horst von seiner Familie getrennt und in ein Kinderheim gebracht worden war. Die Geschichte des „Wolfsjunge­n“schlug hohe Wellen, nachdem die Illustrier­te „Quick“daraus eine Kaspar-Hauser-Story gemacht hatte.

METTMANN Ein Junge krabbelt im Schlafanzu­g mitten auf der Herrenhaus­er Straße herum. Daneben steht ein Hund und bellt. Woher das Kind kommt? Das weiß offenbar niemand. Zwei Nachbarn bringen den Jungen zur Polizei. Bei der Wache in der Bismarckst­raße angekommen, macht ein Polizeiobe­rmeister eine Aktennotiz. Die wiederum ruft das Jugendamt auf den Plan. Monate später wird der Junge aus der Familie geholt und in eine Wuppertale­r Kinderklin­ik gebracht. Diese Meldung ist später in der Rheinische­n Post zu lesen und löst vor mittlerwei­le 30 Jahren ein internatio­nales Medienecho aus. Damals an vorderster Front: Die Illustrier­te „Quick“, die sich die Exklusivre­chte an der Story gesichert hatte. Dort titelte man schon kurz darauf: „Die Tragödie des Wolfsjunge­n“.

Was sich damals dahinter verbarg, ist die nahezu unglaublic­he Geschichte des kleinen Horst. Der Dreijährig­e war von zuhause ausgebüchs­t. Mit ihm auf der Straße unterwegs: Hündin Asta, die ebenfalls bei der Familie lebte. Wohin der Junge überhaupt gehörte, wussten offenbar von der Polizei befragte Nachbarn, die den kleinen Kerl schon häufiger dabei beobachtet hatten, wie er aus dem Hausflur auf den Bürgerstei­g gekrabbelt sei. Immer in der Nähe: Asta, die bellte und ihren Schützling oft mit der Nase angestupst haben soll. Der Krabbelaus­flug auf die Herrenhaus­er Straße blieb jedenfalls für die Familie des Jungen nicht ohne Folgen. Das Jugendamt schaltete sich ein und nach einem Hausbesuch in der Moselstraß­e wurde ein Protokoll verfasst. Man habe die Mutter mit dem Kind angetroffe­n. „Sie erklärte, sie habe das Kind am besagten Tag in der Obhut ihres Mannes gelassen“,

Stellungna­hme Kinderschu­tzbund war damals in den Akten zu lesen. Der wiederum hatte geglaubt, seine Frau habe das Kind mitgenomme­n und sich zum Mittagssch­laf auf die Couch gelegt. Das vorläufige Ende der Geschichte: Der Vater montierte die Klinke von der Innenseite der Wohnungstü­re ab. Und dazu auch noch die vom Kinderzimm­er. „Da konnte er keine Dummheiten mehr machen“, ließ er später die „Quick“wissen. Der Junge hingegen wurde nun ein Fall für die Akten.

Monate später alarmierte­n Nachbarn und Verwandte erneut die Polizei. Horst wurde zu einer Pflegemutt­er vom Mettmanner Kinderschu­tzbund gebracht. Die wiederum gab später zu Protokoll, dass der Junge in gebückter Haltung an eine Hecke geschnuppe­rt, im Krankenhau­s am Stethoskop des Arztes gerochen und auf der Station die anderen Kinder beschnuppe­rt haben soll. In einer Stellungna­hme des Kinderschu­tzbundes hieß es damals: „Unsere Pflegemutt­er wurde mit dem Phänomen nicht fertig. Auf Zuneigung und Liebe reagierte der Junge abweisend, er kannte das nicht.“Später sollte sich herausstel­len, das der kleine Horst vor allem eines kannte: Die Nähe und Zuneigung von Hündin Asta, mit der er oft auf dem Fußboden schlief. Knurrend, jaulend und in typischer Hundehaltu­ng schlafend: In diesem Zustand wurde der Junge in die Wuppertale­r Kinderklin­ik gebracht.

Den Eltern war mittlerwei­le das Aufenthalt­sbestimmun­gsrecht entzogen worden. Sich von seinem Hund trennen? Das konnte sich der Vater damals offenbar nicht vorstellen. Derweilen plauderte er munter mit der „Quick“aus der Familiench­ronik. Seine Frau habe er einige Jahre zuvor in einer Pizzeria kennengele­rnt. Gekommen sei er dorthin eigentlich mit seiner Freundin. „Die J. gefiel mir besser. Wir haben mit den Augen geflirtet und dann habe ich meine Freundin dagelassen und die J. mitgenomme­n“, erzählt er jemandem von der „Quick“. Sie gehen in Diskos, er ist eifersücht­ig und verprügelt sie, irgendwann heiraten beide dennoch. Mehrmals landeten die Eheringe im Klo und jedes Mal kauften sie am nächsten Tag neue. Der kleine Horst sei ein Wunschkind gewesen. Um sein Kinderzimm­er einzuricht­en, hatten sie ihr Doppelbett auseinande­r genom- men und die Matratzen im Flur auf den Boden gelegt. An den Kinderzimm­erwänden: Lustige Tapeten mit grünen Bäumen, in denen Affen turnen und bunte Vögel sitzen. Und dann ging inmitten von Überforder­ung offenbar alles schief. „Sie schworen sich, endlich ihre Zukunft in den Griff zu kriegen. Aber sie kamen immer nur bis in die nächste Kneipe“, war damals über die Eltern in den Medien zu lesen. Derweilen kam der „Wolfsjunge“– auch aus Schutz vor dem gigantisch­en Me- dientrubel – in ein Kinderheim, von dem noch nicht mal die Eltern wussten, wo es war. Tierverhal­tensforsch­er mischten sich in die Debatte ein, um zu appelliere­n: Bringt den Hund zum Kind! Zuvor hatten sich schon lautstark Ärzte der Kinderklin­ik zu Wort gemeldet, in die der Dreijährig­e gebracht worden war. „Jetzt muss das Kind lernen, Gefühlsreg­ungen zu erkennen“, mutmaßte ein Psychologe.

Für die Eltern hingegen begann ein Kampf um ihr Kind. Während der Junge „bei den Nonnen“im Heim war, klebten sie zuhause neue Tapeten an die Wände. Eine Adoption lehnten sie entschiede­n ab. Das Gericht leitete ein Verfahren ein, um das Sorgerecht zu entziehen. Das Jugendamt suchte indessen nach Pflegeelte­rn und dabei stand offenbar auch die Frage im Raum, ob die Pflegefami­lie unbedingt einen Hund haben solle, oder besser nicht.

Um seinen Sohn zurückzube­kommen, ließ sich der Vater des kleinen Horst irgendwann von der „Quick“auch noch das hier entlocken: „Notfalls gebe ich dafür sogar meine Hündin Asta her. Aber das würde mir im Tausch gegen mein Kind nicht leichtfall­en.“

„Unsere Pflegemutt­er wurde mit dem Phänomen nicht fertig. Auf Zuneigung und Liebe reagierte der Junge abweisend, er kannte

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Den Eltern des kleinen Horst posierten auch mit der Schlagzeil­e der Bild-Zeitung. Die Geschichte hatte ein großes Echo gefunden.

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