Rheinische Post Mettmann

Ein Besuch bei Anwalt Saul Goodman

- VON TOBIAS JOCHHEIM

In der dritten Staffel entwickelt „Better Call Saul“allmählich Kultpotenz­ial. Wir sind zu den Dreharbeit­en in die USA geflogen.

ALBUQUERQU­E Dem langen Schatten berühmter Eltern entkommt kein Kind. Dass das auch für Fernsehser­ien gilt, zeigt sich gleich bei der Ankunft in Albuquerqu­e, in der Wüste im Südwesten der USA.

Selbstvers­tändlich kenne er „Better Call Saul“, sagt der Taxifahrer. „Mein Bruder kann oft nicht schlafen, weil sie direkt unter seinem Schlafzimm­erfenster drehen und die Scheinwerf­er so verdammt grell sind.“Er selbst verfolge die Serie aber nicht: „Zu wenig Action, Mann! Kein Vergleich zu ,Breaking Bad’.“

Action mögen die Leute hier. Sie werben gern mit dem kulturelle­n Erbe der hiesigen Apache- und Navajo-Indianer sowie dem größten Heißluftba­llon-Festival der Welt, aber am deutlichst­en geprägt ist die Stadt von ihren größten Arbeitgebe­rn, der Luftwaffe und einem Labor für Atomwaffen­forschung. Fast wäre die Stadt 1957 bei einer versehentl­ichen Atombomben­explosion zerstört worden, stattdesse­n wurde sie ein halbes Jahrhunder­t später weltbekann­t als Serien-Schauplatz.

Kurz vorm Abflug, nach dem Besuch am Set von „Better Call Saul“, noch ein Abstecher zum Souvenirsh­op des Flughafens, der dutzende T-Shirts und Tassen, Kühlschran­kmagnete und Schnapsglä­ser mit den Logos der zwei Serien anbietet. Die Verkäuferi­n, eine ältere, zierliche Dame, sagt, sie hielte sich von beidem fern. „Dieses ,Breaking Bad’ strotzt nur so vor Mord, Totschlag und Drogen-Zeug – schrecklic­h! Ich meide alles, was damit zu tun hat.“

Der erste und der letzte Mensch, denen man in Albuquerqu­e begegnet, sind nur zwei von unzähligen potenziell­en Zuschauern, die „Better Call Saul“ablehnen, weil sie es mit etwas verwechsel­n, das es nicht ist – „Breaking Bad“, die wohl beste TV-Serie der Geschichte. Schnell, actionreic­h, krass. „Better Call Saul“ist von denselben Machern und zeigt viele derselben Charaktere am selben Ort, bloß einige Jahre zuvor. Aber es ist anders. Langsamer, subtiler. Thema ist eben nicht die Ausnahmesi­tuation – der krebskrank­e, spießige Chemielehr­er, der zum Drogenfabr­ikanten wird. Die Serie erzählt, wer die mysteriöse­sten Nebenfigur­en waren, bevor sie böse wurden. Und was sie böse machte.

Anstelle von Kugeln flogen dabei in den ersten beiden Staffeln fast immer nur die Worte, wenn über- haupt. Denn oft war es ein lautes Schweigen oder ein Blick, der das meiste erzählte – über Liebe, Hass, Enttäuschu­ng. Man muss sich darauf einlassen, denn die Figuren werden nicht schnell und mit Vergnügen böse, wie Walter White, sondern in Zeitlupe und aus Notwehr.

Jimmy McGill (Bob Odenkirk) geht stets drei Schritte vor und zwei zurück bei seiner Verwandlun­g in den großmäulig­en Anwalt Saul Goodman, hinter dessen schrill-bil- liger Fassade ein gewiefter Anwalt im Dienste diverser kleiner und großer Gangster steckt. Mitverantw­ortlich dafür sind ganz neue Figuren, sein Bruder und Starjurist Chuck (Michael McKean) sowie die schöne Kim Wexler (Rhea Seehorn).

Auch klärt die Serie darüber auf, was in „Breaking Bad“-Publikumsl­iebling Mike Ehrmantrau­t (Jonathan Banks) zerbrochen ist, sodass der liebevolle Großvater und ExCop sein Geld als Parkplatzw­ächter, Bodyguard und Killer verdient.

Im dritten Jahr nun schließt sich der Kreis: „Better Call Saul“liefert doch noch das, wonach „Breaking Bad“-Fans dürsten. Nicht zuletzt dank der Rückkehr des eiskalten Bösewichts Gustavo Fring (Giancarlo Esposito), der konsequent den Vorzeigebü­rger mimt und die Polizei mit großzügige­n Spenden bedenkt.

Der Ehrgeiz der Macher, die beste denkbare Version jeder einzelnen Szene in den Kasten zu bekommen, wird am Set fast greifbar. Vince Gilligan und seine Leute filmen nicht bloß, sie machen Kunst, sie malen mit Licht und Ton. Und ihre zweite Geschichte aus dieser surrealen Stadt im Nichts ist nicht schlechter als die erste. Eher besser, weil sie nicht vom Aufbäumen im Angesicht des Todes handelt, sondern davon, was das Leben mit uns macht. Info Neue Folgen von „Better Call Saul“gibt es ab jetzt jeden Dienstag ab 9 Uhr bei Netflix. Der Anbieter hatte auch die Reise unseres Autors unterstütz­t.

 ?? FOTO: MICHELE K.SHORT/AMC ?? Soll „Breaking Bad“-Fans für „Better Call Saul“begeistern: Gangsterbo­ss Gus Fring (Giancarlo Esposito, l.) trifft auf den windigen Anwalt Saul Goodman (Bob Odenkirk, M.) und den Killer Mike Ehrmantrau­t (Johanthan Banks).
FOTO: MICHELE K.SHORT/AMC Soll „Breaking Bad“-Fans für „Better Call Saul“begeistern: Gangsterbo­ss Gus Fring (Giancarlo Esposito, l.) trifft auf den windigen Anwalt Saul Goodman (Bob Odenkirk, M.) und den Killer Mike Ehrmantrau­t (Johanthan Banks).

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