Die Diamanten von Nizza
Das alles bestärkt mich darin, dass ich mit meiner Vermutung recht haben könnte“, meinte Sam. „Coco hat das Wochenende in Saint-Tropez organisiert, aber sofort erklärt, sie könne leider nicht mitkommen. Und noch etwas – sie scheint eine sehr enge Beziehung zu ihrem Vater zu haben, und es würde mich nicht überraschen, wenn auch er seine Finger irgendwie im Spiel hat. Es ist immer gut, mit einem Komplizen zusammenzuarbeiten, dem man vertrauen kann.“
Reboul blickte verdutzt auf, das Croissant auf halbem Weg zum Mund.
„Was für eine Rolle sollte er dabei spielen? Ihre Handtasche halten, während sie die Safes knackt?“
„Keine Ahnung. Aber irgendjemand muss die Diamanten ja außer Landes bringen.“
„Und, was haben Sie jetzt vor? Harvé informieren? Ich glaube nicht, dass er wegen einer so vagen Vermutung völlig aus dem Häuschen geraten wird.“
„Das ist mir klar. Aber ich habe eine Idee. Wenn wir sie mit den Juwelen erwischen, in flagranti, sollte das für Hervé ausreichen.“„Wer ist ,wir‘?“„Ich – zumindest am Anfang. Aber ich brauche ein wenig Schützenhilfe von der Polizei.“
„Hm. Also gut. Wenn Ihre Idee Gestalt angenommen hat, setze ich mich mit Hervé in Verbindung.“
„Würden Sie ihn um einen Gefallen bitten?“
„Das tue ich doch schon. Was denn noch?“
„Könnte er vielleicht einmal nachschauen, was der Polizei über Alex Dumas bekannt ist?“Noch am selben Abend schien Hervé in der Stimmung zu sein, Sams Bitte nachzukommen – wozu zweifellos ein Glas des besten pastis in ganz Marseille und eine der besten Zigarren in ganz Havanna beitrugen. „Dann schießen Sie mal los, Sam. Ich bin immer für einen Spaß zu haben. Was ist das für eine Idee?“
„Ich denke, ich sollte zuerst einmal erklären, was mich auf die Idee gebracht hat. Erstens fanden alle drei Raubüberfälle in Häusern statt, die von Coco Dumas renoviert wurden, und zweitens wies keines Anzeichen eines unbefugten Zutritts auf – keine manipulierten Alarmsysteme, keine aufgebrochenen Türen, ja nicht einmal Fingerabdrücke. Das bedeutet also, dass sich der Dieb im Besitz aller erforderlichen Schlüssel und Sicherheitscodes befand. Coco war in der Lage, sich beides auf die eine oder andere Weise zu beschaffen. Sie hat den Auftrag für die gesamte Sicherheitsausrüstung erteilt und den Einbau überwacht. Möglicherweise hat sie sogar die Sicherheitscodes höchstpersönlich eingegeben – eine weitere Kleinigkeit, um die sich ihre Klienten nicht den Kopf zerbrechen mussten; oder sie hat ihnen erzählt, dass sie die Codes braucht, zur Sicherheit, falls ihre Klienten sie vergessen sollten.“
Sam hielt inne, um einen Schluck zu trinken. Hervé beobachtete ihn mit einem angedeuteten Lächeln, als würde er die Unterhaltung genießen. „Fahren Sie fort, Sam. Fahren Sie fort.“
„Okay, jetzt kommen wir zum nächsten Raubüberfall, der meiner Meinung nach bevorsteht, nämlich im Haus der Fitzgeralds, das Coco ebenfalls renoviert hat. Warum ausgerechnet dort? Aus drei Gründen: Ihr ist zu verdanken, dass das Haus übers Wochenende leer steht; zwei- tens hat sie die Einladung, die Fitzgeralds und ihre Gäste zu begleiten, abgelehnt; und drittens ist mir bei der Party gestern Abend aufgefallen, dass allein die zur Schau gestellten Diamanten ausreichen würden, um einen ganzen Juwelierladen zu füllen. Und der gesamte Schmuck bleibt zu Hause.“
Hervé lächelte noch immer. „Ja und, was hat es jetzt mit Ihrer Idee auf sich?“
„Ich würde das Haus gerne observieren. Wenn ich Coco hineingehen sehe, benachrichtige ich die Polizei – irgendwelche Kollegen, die Sie empfehlen – und bitte sie, sich mit mir im Negresco zu treffen, wo wir uns Coco und die Juwelen schnappen.“
Hervé schüttelte den Kopf. „Warum so lange warten? Warum machen wir nicht gleich beim Verlassen des Hauses Nägel mit Köpfen – falls ihre kühne Theorie wirklich zutreffen sollte?“„Aus einem ganz einfachen Grund: Falls ihr Vater wirklich mit ihr unter einer Decke steckt, wird sie ins Negresco zurückkehren, wo er abgestiegen ist. Und falls er tatsächlich ihr Komplize sein sollte, müssen wir ihm ebenfalls das Handwerk legen.“Hervés Miene war nachdenklich geworden. Er holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Tasche. „Das sind die Ergebnisse der Überprüfung von Alex Dumas.“Er schob Sam das Blatt über den Tisch zu. „Da wäre eine Sache, die zu Ihrer Geschichte passen könnte, wie ich zugeben muss. Im letzten Absatz, ganz unten.“Sam fand den Absatz unter der Überschrift „Geschäftsinteressen „, zu denen Immobilien in Thailand und New York, Anteile an einer Nutzholzfirma in Kanada und verschiedene Führungspositionen bei Firmen in Antwerpen gehörten. „Antwerpen?“, sagte Sam. „Das ist doch der Ort, an dem Diamanten ein neues Gesicht erhalten, oder?“„Richtig“, erwiderte Hervé. „Etwa siebzig Prozent aller Diamanten werden über Antwerpen gehandelt. Dort sind mehr als viertausend Diamantenhändler tätig, häufig Inder, die ungefähr zehntausend Mitarbeiter direkt beschäftigen. Ungefähr 1000 spezialisierte Diamantbearbeiter in Antwerpen spalten, sägen, schneiden und schleifen das Rohmaterial zu perfekt verarbeiteten Diamanten. In Antwerpen werden jedes Jahr Steine im Wert von mehr als sechzehn Milliarden US-Dollar umgearbeitet. Dort erhalten sie einen anderen Schliff, eine andere Politur, eine andere Identität, alles wie neu.“„Und Alex Dumas wickelt dort seine Geschäfte ab.“Hervé grinste. „Ich dachte mir schon, dass Sie das interessiert. Hören Sie, Sam. Ich glaube, Sie sind da auf etwas gestoßen. Aber ich kann den Fall nicht übernehmen – es geht nicht an, dass ich in einem fremden Revier wildere. Ich kann nur eines für Sie tun, ein Treffen mit meinem jungen Freund Angus Laffitte arrangieren – Capitaine Laffitte, um ihn bei seinem wohlverdienten Titel zu nennen –, der für Nizza zuständig ist. Wenn Sie ihn von Ihrer Theorie überzeugen können, bin ich sicher, dass er Ihre Bitte erfüllt. Ich werde ihn heute Abend anrufen und mich mit Ihnen in Verbindung setzen, um Ihnen mitzuteilen, wann er Zeit für Sie hat.“„Angus? Ist das ein weit verbreiteter Name in Nizza?“„Der geht auf seine schottische Mutter zurück.“
(Fortsetzung folgt)