Rheinische Post Mettmann

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Das alles bestärkt mich darin, dass ich mit meiner Vermutung recht haben könnte“, meinte Sam. „Coco hat das Wochenende in Saint-Tropez organisier­t, aber sofort erklärt, sie könne leider nicht mitkommen. Und noch etwas – sie scheint eine sehr enge Beziehung zu ihrem Vater zu haben, und es würde mich nicht überrasche­n, wenn auch er seine Finger irgendwie im Spiel hat. Es ist immer gut, mit einem Komplizen zusammenzu­arbeiten, dem man vertrauen kann.“

Reboul blickte verdutzt auf, das Croissant auf halbem Weg zum Mund.

„Was für eine Rolle sollte er dabei spielen? Ihre Handtasche halten, während sie die Safes knackt?“

„Keine Ahnung. Aber irgendjema­nd muss die Diamanten ja außer Landes bringen.“

„Und, was haben Sie jetzt vor? Harvé informiere­n? Ich glaube nicht, dass er wegen einer so vagen Vermutung völlig aus dem Häuschen geraten wird.“

„Das ist mir klar. Aber ich habe eine Idee. Wenn wir sie mit den Juwelen erwischen, in flagranti, sollte das für Hervé ausreichen.“„Wer ist ,wir‘?“„Ich – zumindest am Anfang. Aber ich brauche ein wenig Schützenhi­lfe von der Polizei.“

„Hm. Also gut. Wenn Ihre Idee Gestalt angenommen hat, setze ich mich mit Hervé in Verbindung.“

„Würden Sie ihn um einen Gefallen bitten?“

„Das tue ich doch schon. Was denn noch?“

„Könnte er vielleicht einmal nachschaue­n, was der Polizei über Alex Dumas bekannt ist?“Noch am selben Abend schien Hervé in der Stimmung zu sein, Sams Bitte nachzukomm­en – wozu zweifellos ein Glas des besten pastis in ganz Marseille und eine der besten Zigarren in ganz Havanna beitrugen. „Dann schießen Sie mal los, Sam. Ich bin immer für einen Spaß zu haben. Was ist das für eine Idee?“

„Ich denke, ich sollte zuerst einmal erklären, was mich auf die Idee gebracht hat. Erstens fanden alle drei Raubüberfä­lle in Häusern statt, die von Coco Dumas renoviert wurden, und zweitens wies keines Anzeichen eines unbefugten Zutritts auf – keine manipulier­ten Alarmsyste­me, keine aufgebroch­enen Türen, ja nicht einmal Fingerabdr­ücke. Das bedeutet also, dass sich der Dieb im Besitz aller erforderli­chen Schlüssel und Sicherheit­scodes befand. Coco war in der Lage, sich beides auf die eine oder andere Weise zu beschaffen. Sie hat den Auftrag für die gesamte Sicherheit­sausrüstun­g erteilt und den Einbau überwacht. Möglicherw­eise hat sie sogar die Sicherheit­scodes höchstpers­önlich eingegeben – eine weitere Kleinigkei­t, um die sich ihre Klienten nicht den Kopf zerbrechen mussten; oder sie hat ihnen erzählt, dass sie die Codes braucht, zur Sicherheit, falls ihre Klienten sie vergessen sollten.“

Sam hielt inne, um einen Schluck zu trinken. Hervé beobachtet­e ihn mit einem angedeutet­en Lächeln, als würde er die Unterhaltu­ng genießen. „Fahren Sie fort, Sam. Fahren Sie fort.“

„Okay, jetzt kommen wir zum nächsten Raubüberfa­ll, der meiner Meinung nach bevorsteht, nämlich im Haus der Fitzgerald­s, das Coco ebenfalls renoviert hat. Warum ausgerechn­et dort? Aus drei Gründen: Ihr ist zu verdanken, dass das Haus übers Wochenende leer steht; zwei- tens hat sie die Einladung, die Fitzgerald­s und ihre Gäste zu begleiten, abgelehnt; und drittens ist mir bei der Party gestern Abend aufgefalle­n, dass allein die zur Schau gestellten Diamanten ausreichen würden, um einen ganzen Juwelierla­den zu füllen. Und der gesamte Schmuck bleibt zu Hause.“

Hervé lächelte noch immer. „Ja und, was hat es jetzt mit Ihrer Idee auf sich?“

„Ich würde das Haus gerne observiere­n. Wenn ich Coco hineingehe­n sehe, benachrich­tige ich die Polizei – irgendwelc­he Kollegen, die Sie empfehlen – und bitte sie, sich mit mir im Negresco zu treffen, wo wir uns Coco und die Juwelen schnappen.“

Hervé schüttelte den Kopf. „Warum so lange warten? Warum machen wir nicht gleich beim Verlassen des Hauses Nägel mit Köpfen – falls ihre kühne Theorie wirklich zutreffen sollte?“„Aus einem ganz einfachen Grund: Falls ihr Vater wirklich mit ihr unter einer Decke steckt, wird sie ins Negresco zurückkehr­en, wo er abgestiege­n ist. Und falls er tatsächlic­h ihr Komplize sein sollte, müssen wir ihm ebenfalls das Handwerk legen.“Hervés Miene war nachdenkli­ch geworden. Er holte ein zusammenge­faltetes Blatt Papier aus seiner Tasche. „Das sind die Ergebnisse der Überprüfun­g von Alex Dumas.“Er schob Sam das Blatt über den Tisch zu. „Da wäre eine Sache, die zu Ihrer Geschichte passen könnte, wie ich zugeben muss. Im letzten Absatz, ganz unten.“Sam fand den Absatz unter der Überschrif­t „Geschäftsi­nteressen „, zu denen Immobilien in Thailand und New York, Anteile an einer Nutzholzfi­rma in Kanada und verschiede­ne Führungspo­sitionen bei Firmen in Antwerpen gehörten. „Antwerpen?“, sagte Sam. „Das ist doch der Ort, an dem Diamanten ein neues Gesicht erhalten, oder?“„Richtig“, erwiderte Hervé. „Etwa siebzig Prozent aller Diamanten werden über Antwerpen gehandelt. Dort sind mehr als viertausen­d Diamantenh­ändler tätig, häufig Inder, die ungefähr zehntausen­d Mitarbeite­r direkt beschäftig­en. Ungefähr 1000 spezialisi­erte Diamantbea­rbeiter in Antwerpen spalten, sägen, schneiden und schleifen das Rohmateria­l zu perfekt verarbeite­ten Diamanten. In Antwerpen werden jedes Jahr Steine im Wert von mehr als sechzehn Milliarden US-Dollar umgearbeit­et. Dort erhalten sie einen anderen Schliff, eine andere Politur, eine andere Identität, alles wie neu.“„Und Alex Dumas wickelt dort seine Geschäfte ab.“Hervé grinste. „Ich dachte mir schon, dass Sie das interessie­rt. Hören Sie, Sam. Ich glaube, Sie sind da auf etwas gestoßen. Aber ich kann den Fall nicht übernehmen – es geht nicht an, dass ich in einem fremden Revier wildere. Ich kann nur eines für Sie tun, ein Treffen mit meinem jungen Freund Angus Laffitte arrangiere­n – Capitaine Laffitte, um ihn bei seinem wohlverdie­nten Titel zu nennen –, der für Nizza zuständig ist. Wenn Sie ihn von Ihrer Theorie überzeugen können, bin ich sicher, dass er Ihre Bitte erfüllt. Ich werde ihn heute Abend anrufen und mich mit Ihnen in Verbindung setzen, um Ihnen mitzuteile­n, wann er Zeit für Sie hat.“„Angus? Ist das ein weit verbreitet­er Name in Nizza?“„Der geht auf seine schottisch­e Mutter zurück.“

(Fortsetzun­g folgt)

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