Rheinische Post Mettmann

DEMOKRATIE-SERIE (10)

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Wer regiert, muss sich der Kritik durch die stellen, die nicht regieren. Das heißt dauernder, oft ritualisie­rter Streit, was die Deutschen eher verdrießt – zu Unrecht. Denn Opposition heißt nicht bloß Neinsagen.

freier Rede vor großem Publikum im Plenum, sondern in Ausschüsse­n, Parteigrem­ien, Referenten­büros und mit Ländervert­retern, mithin im Verborgene­n; anders gesagt: Opposition­sarbeit in einer föderalist­ischen, repräsenta­tiven Demokratie vollzieht sich auf vielen Ebenen. Deutscher Parlamenta­rismus ist daher meist unspektaku­lär, häufig schwerfäll­ig und oft komplizier­t.

Auch deshalb knirscht es zwischen Anspruch und Verfassung­swirklichk­eit. Schon 2010 ergab eine Umfrage eine 32zu-51-Prozent-Niederlage der repräsenta­tiven gegen die direkte Demokratie; Anfang 2017 stimmten 70 Prozent der These zu, Volksabsti­mmungen seien demokratis­cher als Voten im Bundestag. Der Bürger möchte das mit der Opposition offenbar am liebsten selbst übernehmen. Die AfD zehrt nicht zuletzt von diesem Verdruss.

Hat die repräsenta­tive Demokratie also ausgedient? Gemach, sagt Politikwis­senschaftl­er Wagschal: „Ich sehe keine Krise, sondern bin da entspannte­r. Direktdemo­kratische Elemente ergänzen das System und damit die Opposition­sarbeit.“So wie derzeit in NordrheinW­estfalen. Hier läuft ein Volksbegeh­ren gegen das „Turbo-Abitur“, das eine 90Prozent-Koalition im Landtag jahrelang gegen demoskopis­che Mehrheiten verteidigt­e – bis diese Strategie unhaltbar wurde. Inzwischen haben alle Parteien Reformkonz­epte vorgelegt.

Bleibt ein Sonderfall: wenn die Opposition in der Mehrheit ist. Das heißt dann Minderheit­sregierung. In Skandinavi­en gang und gäbe, ist sie in Deutschlan­d nur eine Notlösung und wird vom Wähler beargwöhnt. Dabei bietet sie für Regierung und Opposition Chancen. Wieder liefert NRW das Anschauung­smaterial: Von 2010 bis 2012 regierte Rot-Grün ohne eigene Mehrheit. Hannelore Krafts wichtigste Erfolge fallen in diese Zeit: die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren (mit den Linken) und der „Schulfried­en“mit der CDU.

Zugegeben, Minderheit­sregierung­en sind fragile Gebilde und in den Ländern deshalb eher realistisc­h als im Bund. Opposition aber ist unter solchen Bedingunge­n noch weniger Mist als sonst.

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