Rheinische Post Mettmann

Sinti und Roma und die Vorurteile

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Wie lebt es sich mit einem Stigma? Und was ist dran an den Klischees?

DÜSSELDORF Als Rudolf Kosthorst mit seinem Kleinwagen in die SintiSiedl­ung einbiegt, wird er empfangen wie ein Staatschef. Menschen winken und laufen auf sein Auto zu. Der 64-Jährige lässt die Scheibe runter. Plaudert. „Wie geht’s?“, fragt er. „Costa“– so nennen sie ihn hier – kennt die meisten der rund 150 Bewohner der Sinti-Siedlung in Düsseldorf-Eller schon seit Jahrzehnte­n. Von 1979 bis 2012 war er Beauftragt­er für Sinti und Roma im Sozialdien­st der Stadt. Mittlerwei­le ist er im Ruhestand. Doch das Thema seines Lebens lässt ihn nicht los.

Vor seinem Haus wartet Rigoletto Mettbach. Der 66-Jährige ist Sinto. „Wir haben eine ganz andere Kultur als die Roma“, stellt er klar. „Das sind zwei völlig verschiede­ne Völker.“Die Sinti sind zum Beispiel überwiegen­d katholisch. Auch die Sprache, das Romanes, hat sich unterschie­dlich entwickelt. Der Ursprung auf dem indischen Subkontine­nt sei zwar gleich, aber während die Roma Jahrhunder­te auf dem Balkan lebten, kamen die Sinti bereits vor etwa 600 Jahren nach Deutschlan­d. Er könne sich mit einem Rom nicht verständig­en, erklärt Mettbach, „aber ich habe nichts gegen die Leute. Kein Mensch hat was gegen Roma“.

In dem kleinen, eingeschos­sigen Haus lebt der Sinto heute mit seiner Frau und einem seiner 37 Enkel. Mettbach hat neun Kinder, mit 19 wurde er zum ersten Mal Vater. Die ersten 30 Jahre seines Lebens verbrachte er im Wohnwagen. Zunächst in Duisburg, später auf dem Wohnwagen-Platz in der Nähe der heutigen Sinti-Siedlung. Dort gab es weder Toiletten noch Wasser-Anschluss. Zum Duschen ging man ins Hallenbad. Wasser holte man am Hydranten. Und die Notdurft verrichtet­e man in eine Grube. Heute muss Mettbach selber darüber schmunzeln. Die Zustände waren der Stadt ein Dorn im Auge. 1983 wurden die Sinti in die für sie gebaute Siedlung an der Otto-PankokStra­ße umgesiedel­t. „Anfangs war uns das hier sehr fremd“, erinnert sich Mettbach. So fremd, dass manch einer im Garten schlief. Bis heute stehen zwischen den 21 Häusern vereinzelt­e Wohnwagen. Auch Mettbach hat einen. Im Winter lebt er fest in der Siedlung. Ende März fährt er mit dem Wohnwagen los, „dorthin, wo ich Sinti treffe“. Seine Frau ist mit dabei. Bis Ende Oktober ist das Ehepaar unterwegs. Insgesamt, wirft Kosthorst ein, reisten die Sinti aber deutlich weniger als früher. Sehr zu Mettbachs Bedauern: „Es geht alles verloren.“

In den 1970ern kamen Sinti-Kinder automatisc­h in die Sonderschu­le. Mettbach blieb drei Jahre. Die Familie war ja ständig unterwegs. „Das war wunderbar, herrlich“, sagt Mettbach, „lustig ist das Zigeunerle­ben.“Den Begriff „mobile ethnische Minderheit“würde man aus seinem Mund nicht hören. „Ich bin Zigeuner“, sagt er. Andere dürften ihn auch so nennen, er habe damit kein Problem. Lesen und Schreiben hat er sich mit Micky-Maus-Heften beigebrach­t. Seine Kinder seien re-

„Das war wunderbar, herrlich – lustig ist das

Zigeunerle­ben“

gelmäßig zur Schule gegangen. Das sei ihm wichtig gewesen. Einer der Söhne arbeitet heute als Schrotthän­dler. Zwei sind Musiker.

Auch Mettbach macht seit 50 Jahren Musik. Mit seiner Swing-JazzBand Rigo Winterstei­n Swingtett hat er Auftritte in der ganzen Welt absolviert. Von der Musik allein sein Leben bestreiten konnte Mettbach allerdings nie. Wie die meisten anderen in der Siedlung hat er alles Mögliche gemacht. „Die Sinti sind Weltmeiste­r im Überleben“, sagt Kosthorst. Seit 2013 engagiert sich Mettbach ehrenamtli­ch für die Sinti Union Düsseldorf. Er ist deren erster Vorsitzend­er und informiert über sein Volk, dessen Geschichte. Ein wichtiger Teil ist die Verfolgung zur Nazi-Zeit. Heute erinnert eine Gedenktafe­l an das damals sogenannte Zigeuner-Lager am Höherweg. Von dort aus wurde auch Mettbachs Mutter deportiert. „Sie ist in vielen verschiede­nen KZs gewesen, unter anderem in Bergen-Belsen und Ravensbrüc­k“, sagt Mettbach. 2014 ist sie gestorben.

Imer Ajdini lebt nur einen Katzenspru­ng von der Sinti-Siedlung entfernt – dort, wo man einen Rom am wenigsten erwarten würde: in einer Reihenhaus­siedlung. Im Inneren des Hauses im Stadtteil Vennhau-

Rigoletto Mettbach sen, das Ajdini mit Frau und zwei Kindern bewohnt, sieht es aus wie in einem Katalog. Ajdini spricht sechs Sprachen: Neben seinen Mutterspra­chen Mazedonisc­h und Romanes sind das Serbisch, Türkisch, Arabisch und Deutsch.

Geboren wurde Ajdini in Skopje, der heutigen Hauptstadt Mazedonien­s. „Meine Familie lebt seit Jahrhunder­ten auf dem Balkan“, sagt der 39-Jährige. Sie seien stets sesshaft gewesen. Nach der Schule ging Ajdini in die Türkei, um Islamwisse­nschaften zu studieren. „Mein Vater war Imam, mein Großvater und mein Bruder auch.“Nach dem Studium bekam er das Angebot, in Düsseldorf zu arbeiten. In einer RomaMosche­e. Dorthin geht Ajdini nun fünfmal am Tag, zu den Gebetszeit­en. Gepredigt wird auf Romanes. „Das ist sehr ungewöhnli­ch“, wirft Kosthorst ein. Ihm sei landesweit keine weitere Moschee bekannt, in der das so praktizier­t werde.

Natürlich weiß Ajdini um das schlechte Image der Seinen, das durch die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien zusätzlich gelitten hat. In Städten wie Duisburg, Gelsenkirc­hen oder Dortmund gebe es besorgnise­rregende Entwicklun­gen. Die Wurzel allen Übels sei die mangelnde Bildung. Der Großteil habe einfach keine Chance auf dem Arbeitsmar­kt, sagt Kosthorst.

Auch Ajdini konnte kein Deutsch, als er nach Düsseldorf kam. Aber er hatte den Ehrgeiz, es zu lernen. Als er es einigermaß­en beherrscht­e, machte er den Taxischein. Mittlerwei­le hat er ein Unternehme­n mit zwölf Angestellt­en. Und fährt selber. „Der Imam muss auch arbeiten“, sagt er lachend, denn seine Arbeit in der Moschee ist ehrenamtli­ch. Den Namen der Firma möchte er nicht nennen. Er fürchtet, Aufträge zu verlieren, wenn die Kunden erfahren, dass er Rom ist.

Im Gegensatz zu Rigoletto Mettbach würde Ajdini den Begriff „Zigeuner“für sich nicht verwenden. Die Assoziatio­nen seien zu negativ. „Die haben keine feste Wohnung. Die arbeiten nicht. Die klauen.“Die Reihe der Klischees ist lang. Ajdini bezeichnet sich lieber als Rom. Das bedeutet „Mann, Ehemann“. Der Plural „Roma“heißt „Menschen“.

Imer Ajdini sieht seine Zukunft in Deutschlan­d. Von den drei Ländern, in denen er bisher gelebt hat, sei ihm hier am wenigsten Diskrimini­erung widerfahre­n. „In Mazedonien oder der Türkei hätte ich als Rom nicht das erreichen können, was ich hier erreicht habe“, glaubt er. Wer hier lerne und fleißig sei, könne es schaffen. Ob er das Land als Heimat empfinde? „Natürlich.“

Sinto und Musiker

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Imer Ajdini arbeitet ehrenamtli­ch als Imam und hat ein eigenes Taxi-Unternehme­n aufgebaut.
FOTO: ANNE ORTHEN Imer Ajdini arbeitet ehrenamtli­ch als Imam und hat ein eigenes Taxi-Unternehme­n aufgebaut.

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