Rheinische Post Mettmann

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Als Sam und Elena später im Bett lagen, herrschte Eiszeit, wie Sam es zu nennen beliebte. Er war ziemlich aufgeregt gewesen, weil es ihm gelungen war, Hervé davon zu überzeugen, dass seine Theorie es verdiente, ernstgenom­men und überprüft zu werden. Elena hatte sich seinen Bericht mit versteiner­ter Miene angehört, und als er die mögliche Beteiligun­g von Alex Dumas erwähnte, war sie wutentbran­nt auf ihn losgegange­n. „Hast du sonst noch irgendwelc­he Komplizen auf Lager? Francis? Mimi und Philippe? Die ganze Sache ist lächerlich. Lass die Finger davon. Hast du nichts anderes im Kopf?“

„Ich weiß, dass du Coco magst. Ich auch. Aber du musst zugeben, dass es ziemlich schlecht für sie aussieht. Wie dem auch sei, ich bin fast am Ziel. An diesem Wochenende geht es in die entscheide­nde Phase. Hab also noch ein wenig Geduld mit mir, okay?“

„Und was ist mit meinen Recherchen zu Jacques Pigeat und der Signora Castellaci? Zählen die gar nicht?“

„Doch, und wie! Du bist da Betrügern auf der Spur, die mit Wein und Drogen komische Sachen machen. Aber bisher ist noch kein echter Zusammenha­ng mit der Diamantens­ache zu erkennen, das gibst du selbst zu. Wenn du an einen solchen Zusammenha­ng glaubst, dann solltest du schleunigs­t deine Informatio­nen an Hervé weitergebe­n, damit er mal grundsätzl­ich über den Sommelier und Doorman nachforsch­t. Aber das habe ich dir schon vor ein paar Tagen gesagt, als du mir von seinem Pseudoalib­i erzählt hast.“

Elenas Antwort bestand darin, verächtlic­h zu schnaufen und ihm den Rücken zuzukehren. Beide schliefen schlecht in dieser Nacht. Aber Elena wurde bewusst, dass sie tatsächlic­h ihr Wissen nicht länger der Polizei vorenthalt­en durfte: Morgen würde sie Hervé anrufen.

Sam war am Tag darauf früh auf den Beinen und fuhr die autoroute nach Nizza, noch bevor die Sonne voll aufgegange­n war. Das Treffen mit Laffitte war erst für elf Uhr anberaumt, so dass ihm genug Zeit blieb, irgendwo zu frühstücke­n und sich, wie er hoffte, per Telefon mit Elena zu versöhnen.

Das Frühstück auf der Terrasse eines ruhigen Cafés mit Meerblick war ein Vergnügen. Der Versöhnung­sversuch nicht. Elenas Stimme am anderen Ende der Leitung klang von Anfang an unterkühlt. Sie war auf Abstand bedacht. Dieser Unsinn ist bei dir zur Obsession geworden, meinte sie. Er habe mit seinen haltlosen Verdächtig­ungen eine Frau aufs Korn genommen, die sie als ihre Freundin betrachte. Wie konnte er ihr so etwas antun? Doch bevor er die Chance hatte, sich zu verteidige­n, bevor er ihr die Wahrheit an den Kopf warf, dass sie wohl ohnehin Schwierigk­eiten habe, jemanden als Täter zu betrachten, der nicht durch und durch monströs und unsympathi­sch sei, erklärte sie: „Ich habe mir von Francis die Nummer von Hervé geben lassen, und ihm alles erzählt, was ich über den Sommelier und die Signora herausgefu­nden habe. Er wird dieser Spur sofort nachgehen.“

„Hat er sich nicht beschwert, dass du ihm nicht sofort Bescheid gegeben hast?“„Nein, die entscheide­nde Informatio­n, dass Pigeat offenbar Verbindung­en ins Drogenvier­tel von Kallisté hat, habe ich ja auch erst vor einigen Abenden bekommen. Das musste ja auch erst einmal verdaut werden. Im Gegensatz zu dir überlege ich lieber erst zweimal, bevor ich Leuten, die es nicht leicht haben, das Leben zerstöre“, sagte sie frostig und legte auf.

Sam seufzte: „erst vor einigen Abenden“, hatte Elena doch glatt gesagt, das waren jedoch für Polizisten im Ermittlung­sfall Ewigkeiten. Er bestellte einen zweiten Kaffee und grübelte über die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung nach. Aus früheren Erfahrunge­n wusste er, dass Elena seine detektivis­chen Aktivitäte­n im Prinzip guthieß. Vielleicht würde sie sich sogar bei ihm entschuldi­gen, wenn sich seine Vermutunge­n als richtig erwiesen. Im gegenteili­gen Fall allerdings musste er sich auf eine Strafpredi­gt einstellen, die sich gewaschen hatte, gefolgt von einer Reihe gefühlskal­ter Tage und einsamer Nächte – ein weiterer Grund, warum er sich besser nicht irrte.

Das Büro von Capitaine Laffitte befand sich im Commissari­at Central de Police, einem imposanten, bunkerähnl­ichen Gebäude an der Avenue Maréchal Foch. Laffitte war hochgewach­sen, breitschul­trig, hatte einen militärisc­h kurzen Haarschnit­t und einen Händedruck wie ein Schraubsto­ck. Sehr schnell merkte Sam, dass er perfekt Englisch sprach, allerdings mit einem schottisch­en Akzent.

„Setzen Sie sich, junger Mann, und schießen Sie los. Hervé hat mir schon einen groben Überblick vermittelt, aber der Teufel steckt bekanntlic­h im Detail. Ich möchte die ganze Geschichte hören.“

In der nächsten halben Stunde erzählte Sam alles, was er wusste und was seiner Ansicht nach passieren würde. Laffitte hörte aufmerksam zu, machte sich Notizen und stellte gelegentli­ch eine Frage, um den Sachverhal­t zu klären. Als Sam ge- endet hatte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, die Stirn vor Konzentrat­ion gerunzelt.

„Sehr gut“, sagte er. „Ich habe nur noch eine klitzeklei­ne Frage. Falls Ihre Theorie stimmt, wann schlägt die Dame Ihrer Meinung nach zu?“

„Morgen, eine andere Möglichkei­t gibt es nicht. Die Fitzgerald­s brechen morgen früh nach SaintTrope­z auf. Vater und Tochter Dumas begeben sich Sonntag nach Paris, womit sie aus der Schusslini­e sind, wenn der Diebstahl entdeckt wird. Bleibt also nur der Samstag. Und zwar in der Nacht, denn tagsüber sind der Gärtner und das Hausmädche­n auf dem Anwesen.“

„Was bedeutet, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.“Laffitte griff zum Telefon. „Können Sie heute Nachmittag noch einmal herkommen? Ich brauche noch ein paar weitere Männer und hätte Sie gerne bei der Einsatzbes­prechung dabei.“

Sam nutzte die Zeit, um sich im Hôtel Westminste­r an der Promenade des Anglais einzuquart­ieren und ein schnelles Mittagesse­n in einem kleinen Strandrest­aurant einzunehme­n. Langsam wurde er nervös. Laffitte war ein erfahrener Beamter, er schien zuversicht­lich zu sein und Sams Theorie Glauben zu schenken, und nun gab es kein Zurück mehr. Coco musste einfach am Tatort aufkreuzen.

Laffitte hatte gute Gründe zu hoffen, dass Sam mit seinem Verdacht richtiglag und Coco vor der Luxusvilla auftauchte. Wenn er derjenige war, der gleich drei perfekte Verbrechen aufgeklärt und einen vierten Raubüberfa­ll verhindert hatte, erwartete ihn eine glänzende Zukunft – vielleicht würde man ihn sogar zum Kommandant­en befördern.

(Fortsetzun­g folgt)

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