Rheinische Post Mettmann

Karlrobert Kreiten – zum Leben erweckt

- VON WOLFRAM GOERTZ

Eine CD vereint Klangdokum­ente des von den Nazis hingericht­eten Pianisten mit modernen Klavierstü­cken, die ihm gewidmet sind.

Wenn es eine Platte gibt, die jeder Düsseldorf­er Musikfreun­d besitzen sollte, dann ist es diese. Sie gibt uns Einblicke in die Welt des Pianisten Karlrobert Kreiten (1916–1943), der von seiner Kindheit an in Düsseldorf lebte, bis ihn die Hyänen Hitlers aufspürten und zerbissen: Wegen einer unbedachte­n Äußerung („Der Krieg ist verloren“) wurde er denunziert, von der Gestapo verhaftet, vom Volksgeric­htshof verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingericht­et. Der große Pianist Claudio Arrau sagte später über ihn: „Kreiten war eines der größten Klaviertal­ente, die mir persönlich begegnet sind.“

Leider ist Kreiten trotz seines tragischen Schicksals, das Anlass zur Besinnung und Erinnerung hätte sein können, in Düsseldorf nicht präsent geblieben. Es gibt eine nach ihm benannte Straße, allerdings in Hilden. Seine wenigen Tonaufnahm­en gelten als verstreut. Nun aber kehrt Kreiten heim nach Düsseldorf: Seine „historisch­en Aufnahmen“finden wir auf einer kostbaren CD, die uns in Staunen und Bewunderun­g versetzt.

Hat man sich einmal in den teilweise nicht unbeträcht­lichen Rauschpege­l eingehört, so dringt aus der Tiefe des Klangs das Wirken einer exemplaris­chen Begabung an unser Ohr. Kreitens Technik war hinreißend, sein Stilgespür großartig. Das zeigt er in Brahms’ „Paganini“-Variatione­n und dem As-DurInterme­zzo ebenso wie in einigen Chopin-Préludes und -Nocturnes, in der atemberaub­enden Toccata des schweizeri­schen Komponiste­n Othmar Schoeck, der Toccata aus Ravels „Le Tombeau de Couperin“sowie anspruchsv­ollen Werken aus heimatlich­er Provenienz: der Klavierson­ate fis-Moll von Robert Forkardt und der bedeutende­n Sonati- ne E-Dur von Kreitens Vater Theo. Bisweilen hört man Sohn Kreiten seine Werke selbst ansagen, dann gibt er sich mundartlic­h als waschechte­r Rheinlände­r zu erkennen.

Karsten Lehl vom musikwisse­nschaftlic­hen Institut der RobertSchu­mann-Hochschule hat das Tonmateria­l für diese CD aufgearbei­tet. „Nach vielen Jahren, in denen gar keine Dokumente von Kreitens Klavierspi­el bekannt waren, wurden von seiner Mutter Emmy schließlic­h 1983 einige private Aufnahmen für eine Gedächtnis-Ausgabe auf Langspielp­latte freigege- ben“, schreibt Lehl im Booklet. Eine weitere Aufnahme tauchte 2016 auf. Obwohl stark beschädigt, wurden diese Dokumente vom Stadtmuseu­m aufgekauft, so dass sie für die CD bearbeitet werden konnten.

Kreiten entdeckt, klanglich restaurier­t und dabei moderne digitale Technik als intelligen­ten Filter eingesetzt zu haben: Das ist das eine Verdienst dieser CD. Auf der anderen Seite stehen einige Klavierkom­positionen, die dem Andenken Kreitens gewidmet sind und für diese CD entweder neu komponiert oder neu aufgenomme­n wurden. Sie sind völlig unterschie­dlich, aber in sich rund und wahrhaft: Thomas Blomenkamp­s ergreifend­es, schier tastendes „Fragment, gedämpft“; Christian Banasiks hinreißend­e „Begegnung 8 – lento“; Oskar Gottlieb Blarrs virtuos murmelndes Erinnerung­sstück aus „Meine Stadt am Fluss“mit Lautsprech­er-Echos arbeitende rheinische­r Dialekt und Philipp Lojaks anspielung­sreiche Hommage „Klang – Feuer – Asche“. Die beiden Düsseldorf­er Pianisten Tobias Koch und Udo Falkner – als die geistigen Mitväter dieses Unternehme­ns – lösen die interpreta­torischen Aufgaben mit Sensibilit­ät und wahrhaft erweckende­r Brillanz.

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