Rheinische Post Mettmann

ANALYSE

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Der Islam ist eine rückwärtsg­ewandte, gewaltverh­errlichend­e Religion, sagt der Publizist Hamed AbdelSamad. Islamwisse­nschaftler Mouhanad Khorchide widerspric­ht. Doch beide sind sich einig: Es bedarf Veränderun­gen.

geworden und hat – nach muslimisch­er Lesart – dadurch die erfolgreic­he Fortsetzun­g des göttlichen Plans von einem Sieg des Islam über alle Kulturen vereitelt.“Reformen werden also nicht als Möglichkei­t zur Veränderun­g wahrgenomm­en, sondern als Verschwöru­ng.

Die Folge: Viele Muslime, vor allem jene in der Diaspora, bleiben unter sich. Sie grenzen sich von der nicht-islamische­n Gesellscha­ft ab. In der Fremde beharrten die Muslime häufig auf alten Traditione­n und lebten in einer anderen Zeitdimens­ion als die Menschen in ihrem Gastland, schreibt Khorchide. Das Phänomen ist hierzuland­e unter Deutschtür­ken zu beobachten, von denen einige beim jüngsten Referendum in der Türkei für Erdogans Präsidials­ystem gestimmt haben.

Letzten Endes dürften Muslime nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder Muslime oder Deutsche beziehungs­weise Europäer zu sein, findet Khorchide: „Ein Sowohl-als-auch muss das anzustrebe­nde Ziel sein.“Während der Theologe die Gesellscha­ft und die Muslime in die Pflicht nimmt, Reformen anzustoßen, sollte laut Abdel-Samad vielmehr der Staat eingreifen. Dieser dürfe nicht darauf warten, bis Muslime miteinande­r eine Lösung für das Radikalisi­erungsprob­lem und den Umgang mit Frauen, Säkularism­us und Demokratie gefunden haben. Deutschlan­d brauche ein Islamgeset­z – nach dem Vorbild Österreich­s, nur mutiger.

Welche Sicht ist nun zielführen­d? Den islamische­n Gläubigen bewusst machen, was wirklich zum Praktizier­en eines modernen Islam gehört? Oder den Islam und den Koran, auf dem er fußt, politisch entmachten? Beides zugleich sind ehrgeizige Unterfange­n. Beide sind notwendig. In jedem Fall muss es einen neuen Diskurs über den Islam geben – ohne Vorurteile. Die 95 Thesen von Khorchide und Abdel-Samad sind ein wichtiger Schritt dorthin. Es bräuchte jetzt noch einen Luther, der sie an eine Moscheetür schlägt. Hamed Abdel-Samad, Mouhanad Khorchide: Ist der Islam noch zu retten?: Eine Streitschr­ift in 95 Thesen, Droemer, 304 S., 19,99 Euro.

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