Rheinische Post Mettmann

Der Islam braucht Reformen

- VON PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Islamistis­che Terroransc­hläge haben die jüngste monotheist­ische Religion unter Generalver­dacht gestellt: Gewalt, Verachtung und Ignoranz dominiere im Innern des Islam, der deshalb nicht in der Lage sei, sich der Moderne anzupassen. Ist der Islam noch zu retten?

Zwei der bedeutends­ten Islamkenne­r Deutschlan­ds haben diese Frage ins Zentrum und auf den Titel ihres neuen Buches gestellt, das am Dienstag erscheint. Der eine Autor ist Hamed Abdel-Samad, deutsch-ägyptische­r Publizist, der hierzuland­e vor allem für seine islamkriti­schen Werke bekannt ist. Der zweite Autor ist Mouhanad Khorchide, Islamwisse­nschaftler an der Universitä­t Münster und dort Leiter des Zentrums für islamische Theologie. In 95 Thesen (Luther lässt grüßen) streiten die beiden Experten in ihrem Buch über die Zukunft des Islam, seine Reformierb­arkeit, über den Koran und Mohammed, über Frauenrech­te und ein mögliches Islamgeset­z. Es ist eine Streitschr­ift, die von Anfang an klarmacht: Der Islam lässt sich in keine Form gießen.

Für Khorchide ist der Islam, gerade weil er universell sein will, auf Reformen angewiesen, wenn er im Leben der Muslime aktuell bleiben will. Abdel-Samad kritisiert derweil, der Islam habe sich mit mehreren Mauern vor Reformvers­uchen abgeschott­et. Eine dieser Mauern sei der Koran. Er sei ein offener Supermarkt, in dem für jeden etwas dabei sei. Damit spricht Abdel-Samad einen wichtigen Punkt an: Der Koran ist zwar formal das Wort Gottes, aber erst in der Lesart der Menschen entfaltet er diese Kraft – oder eben auch nicht.

Es gibt Kapitel (Suren) im Koran, die davon sprechen, Ungläubige zu maßregeln, notfalls mit Gewalt. Gleichzeit­ig ist die heilige Schrift aber geprägt von der Barmherzig­keit. Man müsse den Koran eben nicht als unantastba­r lesen, wie es die Fundamenta­listen tun, meint Khorchide. Er nennt es das „Ping-PongProble­m“: Jene, die den Islam verteidige­n, sein Gutes offenbaren wollen, beziehen sich oft nur auf die friedliche­n und poetischen Suren im Koran. Kritiker picken sich stattdesse­n das Böse heraus, das sie in der Schrift finden. Die Islamisten rechtferti­gen so sogar ihren heiligen Krieg, ihren „Dschihad“.

Egal wie man den Koran auslegt, man muss stets seine Entstehung­sgeschicht­e berücksich­tigen, denn die heilige islamische Schrift ist nicht an einem Tag geschriebe­n worden. Der Koran entstand über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnte­n (610–632). Mohammed, der Prophet, dem Gott den gesamten Text offenbart haben soll, durchlitt in jener Zeit Höhen und Tiefen. Er war nicht nur Prophet, sondern später auch politische­r Führer in der arabischen Stadt Medina. „Alle Suren, die Krieg und Gewalt verherrlic­hen und dazu aufrufen, gegen die Ungläubige­n vorzugehen, stammen aus dieser Zeit“, schreibt Abdel-Samad. Der Koran zeugt damit auch von der inneren Zerrissenh­eit Mohammeds. Dementspre­chend finden sich zahlreiche einander widersprec­hende Verse.

Die politische Medina-Phase darf aber nicht als Rechtferti­gung dafür herangezog­en werden, den Islam auch politisch in die Welt zu tragen. Leider erleben wir genau das täglich: Das von Mohammed geschaffen­e arabisch-islamische Staatsgebi­lde gilt bis heute für viele Muslime als Idealbild eines islamische­n Staats, der mit der vom Westen bevorzugte­n Demokratie allerdings nicht in Einklang zu bringen ist. „Wer zu Reformen im Islam auffordert, will nur dem Westen gefallen“, sei das Hauptargum­ent vieler Reformverw­eigerer, sagt Khorchide. Er macht eine „Westophobi­e“unter den konservati­ven Muslimen aus. Abdel-Samad meint dazu: „Letztlich spielt der Westen heute die Rolle, die die Muslime vor 1000 Jahren gespielt haben. Er ist immer mächtiger

10% Schiiten Als sich die islamische­n Gläubigen nach dem Tod Mohammeds nicht auf einen Nachfolger (Kalifen) einigen konnten, kam es zur Aufspaltun­g in Sunniten und Schiiten.

Der Koran ist zwar formal das Wort Gottes, aber erst in der Lesart der Menschen entfaltet er diese Kraft –

oder eben auch nicht

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