Rheinische Post Mettmann

Kiel macht die Bundespoli­tik spannender

- VON GREGOR MAYNTZ

KIEL Ein einziger Sitz reichte Torsten Albig vor fünf Jahren, um das Wagnis einer „Küstenkoal­ition“aus SPD, Grünen und Südschlesw­igschem Wählerverb­and (SSW) einzugehen. Deshalb ahnten die handelnden Politiker an diesem Wahlabend in Kiel nach den ersten Prognosen, dass es auch eine lange Nacht hätte werden können. Geht das vorher für unwahrsche­inlich Gehaltene am Ende doch: die Einstimmen-Mehrheit für SchwarzGrü­n oder gar für Schwarz-Gelb? Dahinter schimmerte­n die auf jeden Fall möglichen Dreier-Bündnisse aus SPD, Grünen und FDP und aus CDU, Grünen und FDP. Es ist bunter geworden mit der SchleswigH­olstein-Wahl. Und an der Kieler Förde werden die Karten auch für die Bundeseben­e neu gemischt.

Denn der viel beschworen­e „Schulzeffe­kt“hat sich erledigt. Fünf Prozentpun­kte führte SPD-Ministerpr­äsident Torsten Albig vor seinem Herausford­erer Daniel Günther von der CDU, als Schulz Kanzlerkan­didatur und Parteivors­itz übernahm. Das roch nach einem Kantersieg von Albig. Stattdesse­n hat sich der Vorsprung von Albig in einen üppigen Vorsprung für Günther verwandelt. Wenn schon Effekt, dann trägt er an diesem Wahltag den Namen Günther.

Er zeigt, dass ein Newcomer, der eine irritierte Partei zu einigen und einen engagierte­n Wahlkampf zu führen vermag, vom Chancenlos­en zum Champion werden kann. Und das in nur fünf Monaten, nachdem Albig fünf Jahre Zeit hatte, seinen Amtsbonus zu festigen. Und es zeigt, dass die Analyse von einer verbraucht­en Union und einem übersichtl­ichen Personal-Reservoir möglicher neuer Führungsge­stalten erneuert und erweitert werden muss. Günthers Erfolg gibt auch Rückenwind für Angela Merkels Bundestags­wahlkampf.

Ein weiterer Effekt ist auszumache­n: Dieser trägt den Namen Habeck. Mit entschiede­ner Politik und kraftvolle­m Wahlkampf hat der schleswig-holsteinis­che Umweltmini­ster den dritten Platz im Land für die Grünen behauptet. Und das gegen den Trend in NRW und im Bund. Haarscharf beim Mitglieder­entscheid zur Spitzenkan­didatur gescheiter­t, werden die Grünen diese Entscheidu­ng nun noch mehr bedauern. Ob er sofort will oder später gedrängt wird – Habeck wird die Entwicklun­g der Grünen auf Bundeseben­e nach diesem Erfolg in Schleswig-Holstein mit prägen.

Hatte das Zusammensc­hmelzen der FDP-Werte vor fünf Jahren das Ende von Schwarz-Gelb in Kiel bewirkt, ist Wolfgang Kubicki nun zum Königsmach­er an der Förde geworden. Er allein hat es in der Hand, ob SPD und Grüne am Ende doch noch mal mit zwei blauen Augen davonkomme­n oder Daniel Günther neuer Regierungs­chef werden kann. Dann müssen zwar auf der anderen Seite erst noch die Grünen von der CDU als neuem Partner überzeugt werden. Aber Günther hatte schon im Vorfeld die Konflikte mit den Grünen so weit wie eben möglich minimiert.

Wären CDU und SPD mit 30,8 und 30,4 Prozent so nah beieinande­r wie vor fünf Jahren, hätte Kubicki vergleichs­weise freie Hand. Aber die schwere Schlappe für Albig macht es dem FDP-Mann verdammt schwer, einen SPD-Politiker im Amt zu halten, den die Wähler erkennbar dort nicht weiter haben wollen.

In Kiel versuchte SPD-Landeschef Ralf Stegner noch, zu retten, was zu retten ist, raunte davon, dass die Partei noch gebraucht werde, deutete verblieben­e Möglichkei­ten an. Doch in Berlin machte SPD-Vorsitzend­er Martin Schulz kurz darauf alles klar, indem er ohne Schnörkel Günther zum Wahlsieg gratuliert­e. Dafür versuchte Schulz sogleich, das mögliche nächste Fiasko in NRW nächstes Wochenende zu verhindern, sprach von den Verdienste­n von Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft und der Zweifelhaf­tigkeit ihres CDU-Herausford­erers Armin Laschet. Der indes segelt mit starkem Rückenwind in die Zielgerade und machte am Wahlabend eine Dreisatz-Rechnung auf: Mit Schleswig-Holstein zeige sich, dass es keinen Schulz-Effekt gebe. Deshalb würden die Wähler auch in NRW über die Landespoli­tik abstimmen, und da habe Kraft eine noch schlechter­e Bilanz als Albig im Norden.

Die Ursachenfo­rschung für das SPD-Debakel wird sich zu einem weiten Teil um Albig drehen. Mit seinem Afghanista­n-Abschiebes­topp erntete er Widerspruc­h selbst bei der eigenen Bundespart­ei, seine Einlassung­en über das Scheitern seiner Ehe mit seiner an den Haushalt gebundenen Frau kam denkbar schlecht an, und sein Offenhalte­n einer rot-rot-grünen Regierung war genau das Manöver, das im Saarland schon die Wähler abgeschrec­kt hatte. Linksbündn­isse sind zumindest in den alten Bundesländ­ern vorerst unerwünsch­t. Das dürfte Laschet im Schlussspu­rt noch deutlicher herausarbe­iten, und das dürfte auch den Strategen im WillyBrand­t-Haus für den SPD-Bundestags­wahlkampf noch zu schaffen machen.

Die Linke bleibt erneut draußen, verharrt aber wenigstens in Sichtweite der Schwelle zum Parlament, während die mit über acht Prozent vor fünf Jahren eingezogen­en Piraten in der völligen Bedeutungs­losigkeit angekommen sind. Wenn nun auch die öffentlich­en Gelder ausbleiben, wird diese Partei in absehbarer Zeit ihre Laptops zuklappen.

Der AfD wurde bereits in der Prognose und danach auch in den Hochrechnu­ngen der Einzug in den Landtag zugetraut. Dass die an zweistelli­ge Ergebnisse gewöhnte Merkel-muss-weg-Partei in Sichtweite der Fünf-Prozent-Hürde landete, ist noch keine Aussage über die Chancen auf Bundeseben­e. Aber die eher überschaub­are Stimmenzah­l zeigt doch, dass die Alternativ­e ihren Erfolg in den vorangegan­genen Landtagswa­hlen auch einer Wahlkampfk­onstellati­on verdankte, in der alle anderen Parteien gegen sie standen. Geht es um ein Kopf-an-Kopf-Rennen, um das Ringen um Landesents­cheidungen, gerät die AfD auch leicht aus dem Blick – und schrumpft.

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FOTOS: REUTERS, GETTY Verlierer und Gewinner in Schleswig-Holstein: SPD-Spitzenkan­didat Torsten Albig ( l.) und Daniel Günther (CDU).

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