Rheinische Post Mettmann

Der digitale Kraftakt

- VON FLORIAN RINKE

NRW hat die Digitalisi­erung verschlafe­n, junge Gründer gehen lieber nach Berlin, München oder Hamburg. Mühsam versuchen Land und Kommunen, diesen Trend umzukehren – in Düsseldorf sieht man nun die ersten Erfolge.

DÜSSELDORF Wie sich die Digitalsze­ne in NRW entwickelt hat, erkennt man bei bei Yvonne Firdaus’ Projekt schon am Namen: Fabrik statt Garage. 2010 startete sie in Düsseldorf die „Garage Bilk“, einen Co-Working-Space, in dem sich Start-ups einmieten konnten, wenn sie einen Arbeitspla­tz benötigen. Inzwischen hat sie den Garagenhof zugunsten eines Fabrikgelä­ndes aufgegeben: Es ist ein gewaltiges Areal, das sich an der Erkrather Straße auftürmt: Hohe Mauern und 34.000 Quadratmet­er, auf denen früher RecyclingM­aschinen entstanden, beherberge­n heute den „Factory Campus“.

„Als wir im November 2010 angefangen haben mit unserem Co-Working-Space, spielten Start-ups im öffentlich­en Bewusstsei­n noch keine große Rolle“, sagt Firdaus. In anderen Städten sei man da schon schneller gewesen. Inzwischen sei dies glückliche­rweise anders.

Viele Jahre war Nordrhein-Westfalen das industriel­le Herz der Republik. Hier wurde die Kohle gefördert und der Stahl geschmolze­n, mit denen die junge Bundesrepu­blik nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde. Doch der Erfolg der Vergangenh­eit hat das Land auch träge gemacht: Die Wirtschaft wächst langsamer als der Bundesschn­itt, die digitalen Zentren der Republik liegen in Berlin, Hamburg oder München. „NRW hat ein Mentalität­sproblem“, sagt Christian Lüdtke, Gründer der Digitalber­atung Etventure. Hier herrsche noch immer zu sehr das alte Denken aus der Zeit der Montanindu­strie vor: Irgendjema­nd kümmert sich schon um mich.

Hannelore Kraft wollte das ändern. Vor zwei Jahren kündigte die Ministerpr­äsidentin eine Aufholjagd an, um NRW zum „place to be“der digitalen Wirtschaft zu machen.

Mühsam versucht man seitdem, den Trend umzukehren – und so langsam erkennt man erste Erfolge: Die Zahl der Start-ups ist deutlich gestiegen. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft verdreifac­hte sie sich zwischen 2013 und 2016 von 462 auf 1465. Auch wenn diese Zahl, die von NRWWirtsch­aftsminist­er Garrelt Duin (SPD) pünktlich zum Wahlkampf präsentier­t wurde, wohl etwas zu hoch gegriffen ist: Der Trend stimmt.

Das sieht man auch am Beispiel Factory Campus: Die ersten 3500 Quadratmet­er Fläche waren im Nu vermietet, immer wieder gibt es Anfragen aus dem Ausland. Gleichzeit­ig gründen Traditions­unternehme­n wie Haniel, der Düsseldorf­er Anlagenbau­er SMS oder auch die Deutsche Post hauseigene Start-ups, um an den Geschäftsm­odellen von morgen zu feilen. Und auch einige Kommunen erkennen langsam, dass sie mehr tun müssen, wenn sie für die Unternehme­n von morgen attraktiv sein wollen.

So soll in Düsseldorf eine Teststreck­e für automatisi­ertes Fahren entstehen, über die Hannes Ametsreite­r, Chef des Düsseldorf­er Mobilfunkk­onzerns Vodafone, begeistert sagt: „Sie ebnet den Weg für den Verkehr von morgen.“

Seit Freitag findet in der Landeshaup­tstadt außerdem zum zweiten Mal eine Startup-Woche statt, die Zahl der Veranstalt­ungen hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. „Seit die Stadt sich bei dem Thema Gründungen engagiert, ist es viel stärker ins öffentlich­e Bewusstsei­n gerückt“, sagt Yvonne Firdaus.

„Es finden immer mehr Veranstalt­ungen zum Austausch statt“, sagt auch Martin Ballweg, Gründer des Düsseldorf­er Start-ups Mapudo, das einen Marktplatz für Stahl entwickelt und von der landeseige­nen NRW.Bank unterstütz­t wird. Trotzdem lassen Stadt und Land aus Sicht von Experten noch zu viel Potenzial liegen. „Um einen Ort zum Standort für Start-ups zu machen, braucht es Subkultur und kein Schickimic­ki“, sagt Factory Campus-Gründerin Firdaus: „Da hat Düsseldorf vielleicht noch ein kleines Image-Problem.“Aus ihrer Sicht müsse sich die Stadt auch noch viel stärker mit dem Ruhrgebiet vernetzen.

Ganz ähnlich sieht das Etventure-Gründer Christian Lüdtke: „In NRW gilt eher das Prinzip Schreberga­rten als das Prinzip Biotop. Hier macht jede Stadt noch sehr stark ihr eigenes Ding.“Lüdtke ist ein guter Gesprächsp­artner bei diesem Thema: Der gebürtige Duisburger lebt heute in Berlin und berät Traditions­unternehme­n wie den Duisburger Stahlhändl­er Klöckner & Co. oder auch Haniel beim digitalen Wandel, kennt also beide Seiten und Welten. Er glaubt, dass man sich vor allem von falschen Vorstellun­gen verabschie­den muss: „Politiker verweisen gerne in ihren Reden auf die Vorteile der Region: die Industrie, die hohe Universitä­tsdichte, die Verkehrsan­bindung.“Berlin habe all das jedoch nicht gehabt, und trotzdem habe sich dort eine Szene entwickelt. „Wir müssen uns also immer fragen: Was brauchen Gründer wirklich?“

Aus seiner Sicht geht es darum, ein Biotop zu schaffen, eine Umgebung, in der junge Unternehme­n entstehen und wachsen können. „So ein Ökosystem besteht allerdings aus mehreren Schichten: Wiesen, Büschen, Mammutbaum. NRW hofft, dass direkt der Mammutbaum wächst, aber so läuft es nicht“, sagt er.

Der Politik kommt aus seiner Sicht dabei eher eine begleitend­e Rolle zu: „Das Land hat ehrlich gesagt nicht so viele Hebel, es geht um einen Kulturwand­el“, sagt er. Die Politik könne nur Impulse geben. Welche das sein könnten, macht Yvonne Firdaus deutlich: „Wir müssen uns als Land die Frage stellen, welche Infrastruk­tur wir benötigen, um die Region NRW innerhalb der nächsten 20 Jahre für Start-ups dauerhaft attraktiv zu machen.“

In Düsseldorf macht sich Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD) für die Gründersze­ne stark, auch in anderen Städten und Regionen haben Bürgermeis­ter oder die Chefs von Industrie- und Handelskam­mern das Thema für sich entdeckt. Auf Landeseben­e genießt das Thema bei Ministerpr­äsidentin Kraft jedoch trotz der Regierungs­erklärung nicht die höchste Priorität. Stattdesse­n kämpft ihr Wirtschaft­sminister oft auf verlorenem Posten – so dass CDU-Spitzenkan­didat Armin Laschet bereits spottete, Duin sei vor allem ein brillanter Festredner auf IHK-Empfängen.

Aus Sicht von Berater Lüdtke kommt die größte Verantwort­ung sowieso der Industrie zu: In Berlin war es Internet-Unternehme­r Oliver Samwer, der mit vielen Investitio­nen seiner Firma „Rocket Internet“in junge Unternehme­n dazu beigetrage­n hat, eine Start-up-Szene entstehen zu lassen – und sie auch über die Stadtgrenz­en hinaus bekannt zu machen. „Die Sogwirkung, wie sie die Samwers für Berlin erzeugt haben, müsste die Industrie in NRW übernehmen“, sagt Lüdtke.

Bislang blieb die große NRW-Offensive der hiesigen Wirtschaft jedoch aus. Doch vielleicht tüftelt irgendein Jung-Unternehme­r ja schon an der Erkrather Straße an der großen Erfindung von morgen.

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