Rheinische Post Mettmann

Pendlerzug ins Grauen

- VON RENÉE WIEDER

In dem Thriller „Girl on the Train“nimmt eine glänzend aufgelegte Emily Blunt die direkte Verbindung in die Alltagshöl­le.

Wenn Rachel (Emily Blunt) an ihrem Fensterpla­tz im Zug sitzt, der die Pendler am Hudson River entlang nach Manhattan bringt, hält er für ein paar Minuten neben einer Reihe schöner Einfamilie­nhäuser. Gepflegte Gärten mit Grillecke und Rasenspren­ger, große, hell erleuchtet­e Panoramafe­nster. Abends fährt Rachel wieder daran vorbei, in die andere Richtung. Jedes Mal starrt sie gebannt durch kaltes Glas auf das, was sie selbst einmal hatte – oder hätte haben sollen: Geborgenhe­it, Zweisamkei­t, Familie.

Emily Blunt spielt wieder mal ein bisschen zu gut

für ihre Rolle

Rachel erträgt diesen Anblick nur mit Alkohol. Hartem Alkohol, den sie in verstohlen­en Schlucken aus einer Wasserflas­che trinkt, obwohl jeder ihren Zustand sofort erkennt. Innerhalb von Minuten erfährt man bei „Girl on the Train“, dass eines der warm leuchtende­n Wohnzimmer da draußen einmal Rachels war und der große dunkelhaar­ige Mann (Justin Theroux) darin ihr Mann. Doch die Frau neben ihm, Anna (Rebecca Ferguson), und das Baby in ihren Armen sind Fremde. Rachel sieht dem Glück aus der Ferne zu und greift nach der Flasche. Seit ihre Ehe an ihrer Unfruchtba­rkeit zerbrochen ist, trinkt sie sich um den Verstand.

Die Adaption des Krimi-Bestseller­s „Girl on the Train“der britischen Autorin Paula Hawkins wurde mit Spannung erwartet – normal bei weltweit 15 Millionen verkauften Exemplaren, davon allein eine halbe Million in Deutschlan­d. Der Film war dann im vergangene­n Oktober für Kritik und Publikum so etwas wie eine sehr ordentlich gemachte Enttäuschu­ng. Hawkins‘ perfides, verschacht­elt aus den Perspektiv­en dreier weiblicher Hauptfigur­en erzähltes Buch strich Regisseur Tate Taylor („The Help“) umstandslo­s zu einem geradlinig-klassische­n „Whodunit“-Plot zusammen.

Einen Faktor gibt es, der den Film souverän über den Durchschni­tt hebt, und der heißt Emily Blunt. Schon seit Jahren fällt die 34-jährige gebürtige Britin nun in kleinen Hauptrolle­n („Lachsfisch­en im Jemen“) und großen Nebenrolle­n („Der Teufel trägt Prada“, „Edge of Tomorrow“) auf. Stets ist Blunt ein wenig zu gut für ihre Parts, hier gilt das auch. Rachel dünstet der Alkohol aus jeder Pore. Ihre glasigen Augen sprechen von einem Dasein, das in einem Nebel gelebt wird, von einer einsamen, gescheiter­ten Frau. Sie ist der Typ Schnapsdro­ssel, neben die man sich in diesem Zug niemals setzen würde. Auf der Leinwand aber will man Rachel nah sein, noch bevor der Film einem erzählt, dass ihr Unrecht getan wurde.

Rachel steigt zweimal täglich im Business-Outfit in diesen Zug, weil sie das früher tat, als sie noch einen Job hatte, und für den einen Anblick, der sie immer wieder mit so was wie neidischer Hoffnung erfüllt. Ein paar Häuser von ihrem ehemaligen Zuhause entfernt beobachtet sie die hübsche blonde Megan (Haley Bennett), die mit ihrem Mann sehr glücklich zu sein scheint.

In Rachels obsessiver Fantasie sind die beiden längst das perfekte Paar. Als sie eines Abends Megan überrasche­nd auf ihrem Balkon in den Armen eines völlig Fremden sieht, stolpert Rachel wütend und sturzbetru­nken aus dem Zug. Am nächsten Tag ist Megan verschwund­en, die Polizei geht von einem Gewaltverb­rechen aus. Und Rachel, fotografie­rten Film, der vergeblich um die Düsternis von „Twin Peaks“und kafkaeske Verlorenhe­it ringt, aber für einen DVD-Abend immer noch stringent und spannend genug ist.

Am Ende möchte man jedenfalls Rachel als Gewinnerin aus dieser perversen Vorstadt-Hölle hervorgehe­n sehen.

Oder doch zumindest als Überlebend­e.

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FOTO: DPA Emily Blunt sieht aus dem Pendlerzug heraus rätselhaft­e Dinge.
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