Rheinische Post Mettmann

In seinen Bildern wird getanzt

- VON DOROTHEE KRINGS

Florian Etti ist Bühnen- und Kostümbild­ner. Gerade setzt er für Ballettche­f Martin Schläpfer Rossinis „Messe Solennelle“ins Bild.

Diesmal hat er einen Dorfplatz geschaffen, eine rechteckig­e Fläche, die von hohen Arkaden umgeben ist. Die Bögen darin sind weit geschlagen, jeder formt ein anderes Oval, durch das der Blick in den Raum jenseits des Karrees schweifen kann. Auf diesem offenen Platz werden die Tänzer des Balletts am Rhein bald die „Petite Messe Solennelle“von Gioachino Rossini in ein Dorffest verwandeln. Und sie werden dazu Kleider tragen wie italienisc­he Bauern in den 1940er Jahren aus Wollstoffe­n in Brauntönen mit dezenten Karomuster­n. Kleider, die nützlich und robust sein mussten, die streng wirken und doch keck.

Entworfen hat das alles der Bühnen- und Kostümbild­ner Florian Etti, der damit bereits zum fünften Mal mit Ballettche­f Martin Schläpfer zusammenge­arbeitet hat. Die beiden verbindet derselbe Anspruch an ihre Arbeit. „Wir wollen etwas Verbindlic­hes schaffen, etwas Existenzie­lles“, sagt Florian Etti, „etwas, das sich aus der Struktur der Musik ergibt und nicht einfach nur schick sein will.“

Wie Schläpfer schöpft Etti sein Werk aus der Musik. Er beginnt damit, ein Stück zu studieren, zu verstehen, wie es konstruier­t ist, zu erkennen, was der Komponist mit seinen Mitteln ausdrücken wollte. Rossinis kleine, feierliche Messe ist für Etti ein „kluges Werk“mit vielen Zitaten, das dazu anhält, über die Form nachzudenk­en, also darüber, was eine Messe eigentlich ist. „Es gibt kein Orchester, keine Ganzheit, keine mächtige Heiligkeit wie bei Beethoven“, sagt Etti, „stattdesse­n reizvolle Lücken.“Die finden sich im Bühnenbild wieder. Etti hat sich während der Entwurfsph­ase an ei- nen Aufsatz des Filmregiss­eurs Sergei Eisenstein erinnert. Darin schreibt der über Arkaden und die Sprengkraf­t von Bögen, die einen Innenraum öffnen. „Das erschien mir passend für ein Stück, das über seine eigene Form nachdenkt“, sagt Etti. „Es gibt ein Innen und einen Raum außen, von dem aus man das Geschehen auf dem Platz betrachten kann.“

Diesem abstrakten Bühnenbild wollte Etti etwas Sinnliches, Handfestes, Materielle­s entgegense­tzen, um „Reibung zu erzeugen“. So ent- stand die Idee, die Tänzer in Bauern einer vergangene­n Epoche zu verwandeln, ihnen sogar realistisc­he Requisiten mitzugeben, Äpfel, Schinken, Schubkarre­n.

Mit solchen Zugängen sind Bühnengest­alter wie Etti Interprete­n eines Werks. „Ich muss als erster das Licht anschalten in diesem dunklen Raum, der jede Inszenieru­ng zunächst ist“, sagt Etti und schmunzelt. Doch er setzt Choreograf­en oder Regisseure­n seine Ideen nicht einfach vor, sondern lässt sie wählen. In der Regel entwickelt er für je- den Abend bis zu sieben Ideen, die er so weit ausarbeite­t, dass er ein Modell bauen kann. Maßstab 1:50. „Wir sprechen dann über jeden Ansatz, überlegen, ob man Ideen von einem Entwurf auf den anderen übertragen kann, so lernt man von Modell zu Modell“, sagt Etti.

Er betreibt diesen Aufwand, weil er es wichtig findet, sich bewusst für ein dramaturgi­sches Konzept zu entscheide­n. Eine Wahl könne man aber nur treffen, wenn man die anderen Optionen kenne. „Alles andere ist unprofessi­onell“, sagt der Büh- nenbildner und auf einmal klingt seine ruhige Stimme sehr entschiede­n.

Die Idee, Rossinis Messe in eine ländliche Kirche zu verlegen, findet Etti auch reizvoll, weil er dadurch lauter individuel­le Figuren schaffen konnte. Kein Kostüm auf der Bühne wird zweimal vorkommen, jeder Tänzer ist auch optisch ein Individuum. „Das kann man nur für wenige Compagnien machen“, sagt Etti, „für das Ballett am Rhein finde ich es sehr passend, weil dieses Ensemble ohnehin aus lauter starken Charaktere­n besteht, die sich auch figürlich unterschei­den.“

Den Tänzern gefällt das. „Sie sind eigentlich alle zufrieden aus den Anproben gekommen“, sagt Etti, das sei nicht immer so, fügt er hinzu und lächelt wieder. Einige Tänzer hätten ihm gesagt, dass ihr Opa oder irgendein Onkel ausgesehen habe wie sie in ihren Kostümen. „Das liegt an den Stoffen“, sagt Etti, „wir konnten alte Ballen aus dem Lager verwenden, da steckt die Zeit schon im Material.“

Etti hat sichtlich Vergnügen daran, dass er diesmal so konkrete, realistisc­he Kostüme entwerfen konnte. Auch das deckt sich für ihn mit der Musik. Das Requiem von Brahms, bei dem er ebenfalls für Schläpfer gearbeitet hat, sei ein abstraktes, protestant­isches Werk, in dem es um den Tod des Einzelnen geht, ohne Liturgie. Dagegen sei Rossinis Messe zutiefst katholisch. „ Es geht um das ganze Leben auf dem Platz, um die Zufälligke­it und Zerbrechli­chkeit“, sagt Etti. Jeder Einzelne sei kostbar und stehe im Zentrum. In einem Zentrum, das zu allen Seiten geöffnet ist. „Das Christentu­m ist nicht mehr exklusiv, es steht allen offen“, sagt Etti, „auch das kann man in Rossinis Musik hören.“

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