Rheinische Post Mettmann

Der edle Rebell Mikis Theodoraki­s hält Hof in der Tonhalle

- VON CLAUS CLEMENS

Besser als im Programmhe­ft der Tonhalle lässt sich der Jubel, der das Publikum bereits vor der Veranstalt­ung erfasste, nicht erklären: „Liebe Konzertbes­ucher, heute Abend heißen wir eine Persönlich­keit willkommen, die auf unvergleic­hliche Weise Geschichte geschriebe­n hat. Mikis Theodoraki­s hat es wie kein anderer vermocht, Musik und Politik zu verbinden.“Die Begeisteru­ng fand kein Ende, als der 92-jährige Komponist im Rollstuhl vor dem Publikum erschien. Unter dem Titel „Theodoraki­s Classics“sollten drei Orchesterw­erke aufgeführt werden, die ihm selbst besonders am Herzen liegen.

Den vielen Griechen im Auditorium wohl auch. Hätte man dazu aufgeforde­rt, die griechisch­e Nationalhy­mne zu singen, sie wären gewiss zu Hunderten aufgesprun­gen für „Ymnos is tin Elefthería­n“, die Hymne an die Freiheit. Auch wenn gerade deren Musik nicht von Theodoraki­s sondern von Nikolaos Mantzaros stammt, dem Gründer der ersten Komponiste­nschule des modernen Griechenla­nd. Doch den Weltbürger, den kompromiss­losen Demokraten und Vollblutmu­siker Mikis Theodoraki­s kennt in Griechenla­nd auch heute noch jedes Kind. Über 1000 Lieder und Kompositio­nen umfasst sein Werk.

Auch mein Sitznachba­r Stavros gehört mit Mitte 70 zur „Generation Mikis“. Er ist sogar auf der gleichen Insel Chios geboren. Mehr noch, er ist mit ihm verwandt: „Cousin zweiten Grades“. Nur ein paar Mal sind sich die Beiden begegnet, kein Wun- der, bei dem aufregende­n Reiseleben, dass Theodoraki­s nicht immer freiwillig führte. Plötzlich macht mich Stavros auf die Sitzreihe hinter uns aufmerksam. „Da sitzt doch der berühmte Deutsche, der 1974 auf dem Syntagma-Platz protestier­t hat.“Tatsächlic­h, es ist Günter Wallraff, und der freut sich offensicht­lich, jemanden zu treffen, der damals in Athen Zeuge seiner Aktion war. Als Delegierte­r des „Ausschusse­s Griechenla­nd-Solidaritä­t“hatte sich Wallraff an einen Lichtmast gekettet und Protestblä­tter gegen die Militärdik­tatur verteilt. Die mutige Tat brachte ihm Folter und 14 Monate Einzelhaft ein. Letzten Monat noch war der Enthüllung­sjournalis­t in Athen, um seinen „guten Freund Mikis“zu treffen. Dem seit Jahrzehnte­n in Düsseldorf lebenden Griechen Stavros sind die Jahre der Diktatur noch in lebendiger Erinnerung. Wallraff und er tauschen Adressen aus.

Die Szene ist kennzeichn­end für diesen grandiosen Abend in der Tonhalle: Es ging um die Erinnerung an ein Jahrhunder­t, das Mikis Theodoraki­s durch sein Engagement genauso mitgestalt­et hat wie mit seiner Musik.

Die Düsseldorf­er Sinfoniker unter der Leitung von Baldur Brönnimann spielten im Hauptteil die Sinfonie „Das Lied der Erde“. Für den chorischen Teil sorgte der Städtische Musikverei­n.

Nach der Pause folgten die Ode „Ödipus Tyrannos“und abschließe­nd die kurze Symphonie Nr. 3. mit der kanadische­n Mezzosopra­nistin Frances Pappas.

Nicht enden wollender Jubel.

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