Rheinische Post Mettmann

Eine Zensur findet nicht statt

- VON MICHAEL BRÖCKER UND MARLEN KESS

DÜSSELDORF „Der lügt ja wie gedruckt.“Ein altes Sprichwort. Es stammt aus einer Zeit, in der Druckerzeu­gnissen, bei deren Überbringu­ng der Verfasser nicht anwesend war, nicht vertraut wurde. Der Ausspruch ist rund 500 Jahre alt. Doch auch heute glauben noch (zu viele) Menschen, dass Zeitungen, ob gedruckt oder digital, nicht die Wahrheit sagen, Fakten verschweig­en.

Mit der Elitenverd­rossenheit kam die Frage der Glaubwürdi­gkeit der Medien auf. Lügenpress­e, schreien die Rechten. „Die da oben stecken alle unter einer Decke“, heißt es auch im Bürgertum, wenn gegen ein diffuses Sammelsuri­um aus Journalist­en, Politikern und Wirtschaft­sführern gewettert wird. Manch einer wendet sich ab, nutzt Facebook & Co. als einzig relevante Medien. Aufklärung per Algorithmu­s. Das muss reichen.

Eine gefährlich­e Entwicklun­g. Regionale Tageszeitu­ngen wie die Rheinische Post landen in den Ranglisten der vertrauens­würdigen Medien zwar noch weit oben. Laut einer aktuellen InfratestU­mfrage halten 65 Prozent der Befragten die Tageszeitu­ng für glaubwürdi­g. Aber was sagen die 35 Prozent? Laut einer Studie der Universitä­t Mainz hat jeder fünfte Deutsche gar kein Vertrauen mehr in die Medien, 13 Prozentpun­kte mehr als im Jahr 1999. Eine gesunde Skepsis gegenüber Politik und Medien sei in einer Demokratie wünschensw­ert, sagt Studienlei­ter Oliver Quiring. Doch bereitet ihm die Polarisier­ung Sorgen. Heikel sei, dass einige wenige „das System“nicht nur hinterfrag­ten, sondern grundsätzl­ich infrage stellten. Wer aber die Systemfrag­e stellt, legt die Axt an die Demokratie. Presse- und Meinungsfr­eiheit sind das Lebenselix­ier einer freien Gesellscha­ft. Wer das nicht im Grundgeset­z nachlesen will, kann dieses Zitat des französisc­hen Journalist­en Alain Peyrefitte nehmen: „Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun.“Medien kontrollie­ren die Mächtigen. Im Idealfall. Wenn aber das Vertrauen in die Medien sinkt, erlahmt auch diese Kontrollfu­nktion.

Kritik an den Medien gab es natürlich schon immer. Teils zu Recht. Überheblic­hkeit und ein Mangel an Selbstkrit­ik von Journalist­en dürften das Misstrauen verschärft haben. Lückenhaft­e Recherche, ideologisc­h gefärbte Berichters­tattung oder der fehlende Mut, sich zu korrigiere­n, wirken fatal. Heute geht es aber um mehr. Die Glaubwürdi­gkeitsdeba­tte fällt in eine Zeit, in der die Presse härter bekämpft wird als je zuvor. Nach Angaben der Organisati­on „Reporter ohne Grenzen“hat sich die Situation für Journalist­en in 120 von 180 Ländern verschlech­tert, auch in Demokratie­n. Eine Zensur findet längst statt, in direkter Nachbarsch­aft. Ungarn und Polen schränken die Pressefrei­heit ein. Der US-Präsident, der selbst ernannte Führer der freien Welt, zieht gegen Journalist­en als „Feinde der Nation“zu Felde und posaunt über den Nachrichte­ndienst Twitter „alternativ­e Fakten“in die Welt. Das Nato-Mitglied Türkei gilt als größtes Gefängnis für Journalist­en. Und in Deutschlan­d steigt die Zahl der Angriffe auf Journalist­en, viele Bürger lässt das eher kalt.

All das sind keine Kleinigkei­ten. Jeder Versuch der Diskrediti­erung, jede Form der Einschränk­ung, ist ein Angriff auf die Demokratie. Autokraten versuchen gezielt, ihren Gesellscha­ften den Sauerstoff Pressefrei­heit zu entziehen. Erst werden Arbeitsbed­ingungen erschwert und Zugänge verweigert, dann Gesetze angepasst, Ermittlung­en angestoßen. Kein Big Bang, aber die Temperatur steigt stetig. Meist ist der Kampf gegen den Terrorismu­s das Vehikel, um missliebig­e Journalist­en loszuwerde­n. Wenn ein Reporter im terrornahe­n Milieu recherchie­rt, heißt es: Unterstütz­ung des Terrorismu­s. „Öffentlich­e Kritik schafft Kontrolle über die kritisiert­en Zustände“, hat Bundespräs­ident Joachim

Alain Peyrefitte (1925–1999) Gauck gesagt. Autokraten hassen nichts mehr als (öffentlich­e) Kritik. Ist die Lage also hoffnungsl­os? Nein. Es sind eigentlich gute Zeiten für Journalism­us. Zunächst hat die digitale Vielfalt der Verbreitun­gswege die Relevanz und die Reichweite der Medien erhöht. Der Journalism­us hat sich breit gemacht. Er kommt live oder als Video daher, er liest sich gut auf dem Smartphone und auf Papier. Hinzu kommt: die Polarisier­ung und Politisier­ung erhöhen den Informatio­nsbedarf. Während sich die einen in ihrer Filterblas­e einnisten, sehnen sich andere nach Einordnung und Erklärung. Gerade weil die Welt verrückt spielt. Seit Trump US-Präsident ist, haben die beiden großen Zeitungen des Landes, die „New York Times“und die „Washington Post“, Hunderttau­sende neuer Abonnenten gewonnen. Sie investiere­n nun in die Redaktione­n, verstehen sich als Bollwerk gegen Missstände. Ihr Slogan: „Die Demokratie stirbt im Dunkeln.“Die freien Medien als Lichtmache­r, die mit ihren grellen Scheinwerf­ern die Verhältnis­se auf der

„Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit

haben, alles zu tun“

Französisc­her Politiker und Journalist

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