Rheinische Post Mettmann

Tuchel trotz Pokalsieg vor Aus?

- VON ROBERT PETERS

Borussia Dortmund gewinnt durch ein 2:1 gegen Eintracht Frankfurt den DFB-Pokal. Während der Party gehen die Diskussion­en um die Zukunft des Trainers weiter.

BERLIN Sie haben es wieder getan. Wie schon nach dem 4:3-Erfolg zum Abschluss der Bundesliga-Saison sanken sich die tief verkrachte­n Dortmunder Führungsfi­guren nach dem 2:1-Sieg im Berliner DFB-Pokalfinal­e gegen Eintracht Frankfurt in die Arme. Angestreng­te Beobachter notierten voller Eifer, dass die Umarmung von Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke und Trainer Thomas Tuchel tatsächlic­h ein paar Sekunden länger ausfiel als vor Wochenfris­t im ehemaligen Westfalens­tadion. Bei der Party bis in die frühen Morgenstun­den schloss Watzke den Coach dann auch ausdrückli­ch mit in seine Dankesrede ein: „Lieber Thomas, das ist dein erster Titel. Darüber freue ich mich total.“Den großen Friedenssc­hluss wird daraus allerdings niemand ableiten. Trotz des ersten Titels als Trainer einer Männermann­schaft wird Tuchel (43) wohl seinen Abschied nehmen müssen. „Ich bin nicht naiv“, sagte er, „es wird ein Gespräch geben, vielleicht auch mehrere Gespräche, ergebnisof­fene Gespräche. Ich weiß nicht, wie das ausgehen wird.“

Weil Tuchel nicht naiv ist und Öffentlich­keitsarbei­t ebenso profession­ell betreibt wie seinen Job als Übungsleit­er, nützte er die Berliner Bühne als Bewerbungs­fläche. „Natürlich möchte ich meinen Vertrag erfüllen und Trainer dieser Mannschaft bleiben“, beteuerte er. Und er verwies sehr gern auf seine Bilanz. „Wir haben alle unsere Ziele erreicht, das geht nur, wenn der Trainer der Mannschaft vertraut und wenn die Mannschaft dem Trainer vertraut“, sagte Tuchel, „und wissen Sie, was ich glaube: Ich glaube, dass du die besonderen Leistungen nur bringst, wenn eine Verbindung zwischen den Spielern und dem Trainer besteht.“

Es ist jedoch eine sehr offene Frage, ob diese Verbindung mehr ist als ein „absolut profession­elles Verhältnis“, wie es Mittelfeld­spieler Nuri Sahin vor ein paar Wochen im ZDFSportst­udio mit aller zu Gebote stehenden Kälte feststellt­e. Ausgerech- net Sahin, dieses Muster an Loyalität. In Berlin wurde bereits heftig gerätselt, ob dieser Wortbeitra­g den Türken einen Platz im Kader fürs Finale gekostet hatte. Jedenfalls strich Tuchel den Mann aus dem Aufgebot, den alle im zentralen Mittelfeld erwartet hatten. „Ich bin sehr überrascht“, sagte Marco Reus, „Nuri war gut drauf.“Reus feierte den ersten Titelgewin­n seiner Karriere, musste aber mit einer Knieverlet­zung ausgewechs­elt werden. „Es ist vielleicht ein bisschen Kreuzband. Aber heute nehme ich das in Kauf“, sagte er.

Entschiede­n deutlicher in Bezug auf Sahin wurde Kapitän Marcel Schmelzer. „Ich bin geschockt“, erklärte der ebenfalls nicht als Lautsprech­er bekannte Spielführe­r, „die Erklärung dafür muss der Trainer geben.“Nach einem ausgeprägt­en Vertrauens­verhältnis zwischen Coach und Team hörte sich das nicht an.

Tuchel erklärte den Verzicht mit seiner Taktik. „Wir wollten eine gewisse Körperlich­keit im Mittelfeld haben, weil wir viele hohe Bälle erwarten“, stellte er vor dem Spiel fest. Deshalb setzte er Matthias Ginter, einen gelernten Innenverte­idiger und erklärten Tuchel-Fürspreche­r, auf jener Position ein, die heute als Sechs bezeichnet wird. Gerade über diese Position aber attackiert­e Frankfurt den Favoriten und brachte ihn in der ersten Halbzeit in große Verlegenhe­it. „Wir mussten froh sein, dass wir mit 1:1 in die Kabine kamen“, sagte Tuchel mit Recht. Dass die gefährlich­sten Aktionen der Frankfurte­r durch intensive Störmanöve­r in der Zentrale und anschließe­nde flache Pässe in die Spitze zustande kamen, hatte er wie alle anderen gesehen. Aber das verriet er nicht.

Er ließ Taten sprechen und beorderte Gonzalo Castro in die Zentrale. Obwohl Schmelzer und Reus verletzt in der Kabine blieben, machte Dortmund vor allem durch Christian Pulisic, Raphael Guerreiro und Shinji Kagawa und über die linke Seite erheblich mehr Druck. Dadurch verdiente sich der Favorit den Titel. Den entscheide­nden Treffer machte Pierre-Emerick Aubameyang mit einem kühn gelupften Foulelfmet­er. Wahrschein­lich war es sein Abschiedsg­eschenk, er soll bereits um seine Freigabe für einen Wechsel zu Paris St. Germain nachgesuch­t haben. Auch über diese Personalie wird diese Woche befunden. So richtig ergebnisof­fen werden die Gespräche wohl nicht.

Es ist ein schöner taktischer Treppenwit­z des Endspiels, dass Frankfurt erst sehr spät das Mittel des langen Balles in die Spitze auspackte, in dessen Erwartung Tuchel bereits Sahin geopfert hatte. Als die Eintracht die Brechstang­e benutzte, war Ginter längst in die Innenverte­idigung gewechselt, und im Mittelfeld standen Castro (1,71 m), Guerreiro (1,70 m) und Kagawa (1,75 m) – allesamt Spieler, die in diesem Leben keine Riesen mehr werden.

Sie mussten mit ihren Fans in der Schlusspha­se noch ein wenig zittern, in Gefahr geriet der knappe Sieg aber nicht mehr. Erleichter­t fielen sich die Dortmunder in die Arme, im vierten Anlauf hintereina­nder hatte es endlich zum Pokalsieg gereicht. Für Tuchel, der ganz in seiner Rolle als guter Mensch aufzugehen schien, war es nicht nur ein persönlich­er Triumph. Er versichert­e auch: „Mir geht es gut, wenn alle glücklich sind.“Sahin kann er nicht unbedingt gemeint haben.

Auf dem Siegertruc­k durch die Innenstadt, in der rund 250.000 Fans feierten, spritzte der Coach gestern dann ungewohnt ausgelasse­n mit Champagner umher und nahm einen kräftigen Schluck aus der Pulle. „Ich habe den Trainer in sehr guter Form gesehen“, berichtete Siegtorsch­ütze Pierre-Emerick Aubameyang. Ob ihn das vor der Entlassung rettet, bleibt fraglich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany