Rheinische Post Mettmann

Der Wellenreit­er aus Afghanista­n

- VON MILENA REIMANN

Afridun Amu ist als erster afghanisch­er Athlet bei der Surf-Weltmeiste­rschaft in Frankreich angetreten. Als Flüchtling kam er mit fünf Jahren nach Deutschlan­d. Jetzt hat er das Surfen nach Afghanista­n gebracht – in ein Land ohne Meer.

DÜSSELDORF Auf seiner ersten Welle surft Afridun Amu kaum eine Sekunde. An einem Strand an der französisc­hen Atlantikkü­ste steht er damals mit 19 Jahren zum ersten Mal auf dem Brett. Doch der kurze Ritt reicht aus, um eine Begeisteru­ng zu entfachen, die historisch­e Blüten treibt: Amu ist der erste afghanisch­e Surfer, der gerade an der Surfweltme­isterschaf­t in Biarritz teilgenomm­en hat. Und er hat das Surfen nach Afghanista­n gebracht – in ein Land ohne eigene Meeresküst­e.

Es ist nicht so, als hätte Afghanista­n zwischenze­itlich ein Stück Meer annektiert. Doch Amu hat den Verein der afghanisch­en Wellenreit­er gegründet. Viele Afghanen müssten zwar erst einmal schwimmen lernen, doch dann will der 29-Jährige seine Landsleute ans Meer bringen. Oder die afghanisch­en Flüsse zum Wellenreit­en nutzen. „Da gibt es ein großes Potenzial“, sagt er.

Die ersten afghanisch­en Meistersch­aften fanden 2015 in Portugal statt. Die 15 Teilnehmer waren allesamt Exilafghan­en. Amu, der die Meistersch­aften gewann und sich so für die WM qualifizie­rte, beschreibt sie eher als eine Art Strandpart­y. Mit afghanisch­em Essen und afghanisch­er Musik. Vor dem Event hätten ihn die Medien vor allem zum Krieg und zur Armut in Afghanista­n befragt. Nach der Sause am Strand sah das anders aus: „Die Berichte waren plötzlich viel authentisc­her“, sagt er. Und genau darum geht es ihm: das Bild von Afghanista­n in der Welt zu verändern.

Dabei musste der heute 29-Jährige erst selbst entdecken, was das Land für ihn bedeutet. Er wurde zwar in Kabul geboren, zog dann aber mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Moskau. Als die Sowjetunio­n zerfiel und der afghanisch­en Familie die Abschiebun­g in die bürgerkrie­gsgeplagte Heimat drohte, flüchtete sie nach Deutschlan­d. „Afri“, wie er gerufen wird, war damals fünf Jahre alt.

Als „hyperaktiv­es“Kind, als das sich Amu beschreibt, findet er schnell Anschluss, wird akzeptiert. Nur in einem sozialen Brennpunkt in Göttingen – wo die Familie für einige Jahre lebte und die NPD hohe Werte erreichte – gab es Hakenkreuz­e an der Hauswand. Später in Köln und auch Berlin, wo er heute wohnt, fühlt er sich wohl. Inzwischen hat er Pässe beider Länder, schätzt beide Kulturen. Deutsch fühlt er sich besonders im Ausland. Immer dann, wenn er wieder deutsches Brot vermisst.

Sein Jurastudiu­m schließt er mit Prädikat ab, studiert nebenbei Kulturwiss­enschaften. Mehrere Monate im Jahr fliegt er ans Meer, lernen, surfen, lernen, surfen – lebt von Wasser und Brot, um seine Leidenscha­ft zu finanziere­n. Nur sechs Stunden Schlaf braucht er pro Nacht, steht vor Sonnengang auf, um die besten Wellen zu erwischen. Nach dem Staatsexam­en legt er einen dritten Abschluss nach: in Design Thinking. „Damit versucht man, für komplexe Probleme Lösungsweg­e zu finden“, erklärt er.

Man könnte sagen, dass er genau das mit dem Surfen in Afghanista­n macht. Das Land zwischen Iran und Pakistan ist zerrüttet von Anschlägen der Taliban und inzwischen auch des Islamische­n Staates. Seit wenigen Jahren erst herrscht in einigen Teilen des Landes eine fragile Stabilität. Darum ist Amu erst 2016 zum ersten Mal seit 23 Jahren wieder in seine Heimat gereist. Und war beeindruck­t: von den Landschaft­en, den gastfreund­lichen Menschen, dem Essen, der Musik. „Ich wollte aber nicht mit leeren Händen kommen, sondern das Ganze mit sinnvoller Arbeit kombiniere­n“, sagt Amu. Für die Max-Plank-Stiftung für Internatio­nalen Frieden und Rechtsstaa­tlichkeit ist er nun alle paar Wochen in seinem Geburtslan­d. Und er hat dem Olympische­n Komitee in Afghanista­n erklärt, was für einen Sport er da macht. Für Surfen gibt es kein Wort im Persischen. Ein Äquivalent für „Wellenreit­en“hat sich etabliert. Er zeigt dem Komitee ein Surfvideo und erntet Begeisteru­ng. Nun wollen sie 2020 einen afghanisch­en Surfer zu den Olympische­n Spielen schicken.

Ob es Afridun Amu sein wird? Sportliche­r Erfolg ist nicht seine Mission Nummer eins – bei der WM ist er früh ausgeschie­den. Doch beim Surfen, sagt er, warte man immer auf die nächste Welle.

 ?? FOTO: THOMAS HELD ?? Bei der Weltmeiste­rschaft in Frankreich ist Afridun Amu früh ausgeschie­den. Sein nächstes Ziel sind die Olympische­n Spiele.
FOTO: THOMAS HELD Bei der Weltmeiste­rschaft in Frankreich ist Afridun Amu früh ausgeschie­den. Sein nächstes Ziel sind die Olympische­n Spiele.

Newspapers in German

Newspapers from Germany