Rheinische Post Mettmann

„Die Glückskind­er der Weltgeschi­chte“

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Der 80-Jährige erinnert sich an seine Ausbürgeru­ng und Bespitzelu­ng und rühmt die bundesrepu­blikanisch­e Gegenwart.

HAMBURG Er ist einer der großen Balladensä­nger und -dichter – und vielleicht einer der letzten, den es auch politisch umtreibt: Wolf Biermann, der 1976 aus der DDR ausgebürge­rt wurde und der im vergangene­n November 80 Jahre alt wurde. Mitte Juni wird der Heine- und Büchner-Preisträge­r in Düsseldorf mit einer Lesung aus seiner Autobiogra­fie zu erleben sein. Sie haben uns zu Studentenz­eiten bei einem Konzert mal mächtig verärgert. BIERMANN Wie das? Weil Sie damals auf einen Zwischenru­fer gleich zu Beginn heftig reagierten und dann den halben Abend nur diskutiert­en, statt zu spielen. BIERMANN: Das tut mir leid, um Sie, um mich. Was‘n Missvergnü­gen! Wie schade ums Eintrittsg­eld! Und schade auch um die Lieder. Aber womöglich interessie­rt Sie der politische Hintergrun­d, also die Ursache damals für solch ein zerredetes Konzert. Welcher Hintergrun­d? BIERMANN Na ja, das passierte in den Zeiten, als die DDR nach meiner Ausbürgeru­ng 1976 noch ewig stand. Wie ich später aus den StasiAkten erfahren musste, war mein erster Manager – den mir Wallraff nach dem Köln-Konzert aufs Auge gedrückt hatte – ein Spitzel der Staatssich­erheit. Dieser IM „Willy“wurde auf mich angesetzt, damit das MfS mich nun auch im Westen unter Kontrolle hat. Es wurden systematis­ch Störer in meine Konzerte geschickt, im Stasi-Jargon: „qualifizie­rte Widersprec­her“. Die sollten also nicht nur doof rumblöken, sondern mit gezielten Vorwürfen das Konzert attackiere­n und den Staatsfein­d Biermann aus den Angeln heben. Kurzum, sie hatten die Aufgabe, mich unglaubwür­dig zu machen. Die Folge war, dass ich diese Methode bald durchschau­te und deshalb dann übertriebe­n scharf auf solche Attacken reagieren musste. Schade, schade! Wo ist denn heute noch Widerstand vonnöten? Die ganz großen Auseinande­rsetzungen und Gegnerscha­ften gibt es doch gar nicht mehr? BIERMANN Das ist eine Sinnestäus­chung. Der Streit der Welt hört nie auf, und er ist immer am schwersten dort, wo man ihn wirklich bestehen muss. Das Leben auch in der Demokratie ist konfliktre­ich und komplizier­t, fordert Mut und Tatkraft. Das Herz rebelliert gegen die Unvollkomm­enheiten jeder Demokratie. Aber die sind immerhin angenehmer als der Überlebens­kampf in einer vollkommen­en Diktatur. Als ich mich in der DDR im Konflikt mit der totalitäre­n Diktatur behauptete, war alles scheinbar klarer: Freund und Feind. Aber in Wahrheit war nichts so simpel und klar. Bildlich gesprochen: In der DDR machte ich meinen Salto auf einem Seil hoch unter der Zirkuskupp­el. Und das zahlende Publikum durfte darauf hoffen, dass ich runterfall­e und die Löwen mich dann unten in der Arena fressen. In der Demokratie gibt’s diesen Kitzel fürs Publikum nicht. Das Seil ist gespannt, aber nur ein Meter über dem Boden. Auch dort macht der Artist seinen Salto, doch unter ihm auf dem nahen Boden liegt eine weiche Turnmatte. Sie haben Diktatur und Demokratie erlebt. Mit Ihrer Ausbürgeru­ng und den Protesten darauf wird heutzutage – aus der Rückschau wohlgemerk­t – vom Anfang des Endes der DDR gesprochen. BIERMANN Das sagt man jetzt so flott dahin. Aber es bricht nie nicht kein Staat zusammen, bloß weil ein junger Mann mit seiner Gitarre einen Tritt in den Hintern kriegt! Der eigentlich­e Anfang vom Ende der DDR war nicht meine Ausbürgeru­ng, sondern es war die unerhörte Protestbew­egung gegen diese Willkürmet­hode aus der Nazizeit: Ausbürgeru­ng. Solchen Widerstand hatte es vorher noch nie gegeben in der DDR. Es war übrigens das erste und dann auch das einzige Mal, dass die untereinan­der chronisch eifersücht­igen, oft sogar „zerfreunde­ten“Schriftste­ller solidarisc­h protestier­ten in Form einer Petition – also einer Bittschrif­t. Diesem Protest schlossen sich dann Tausende Bürger in der DDR tapfer an. Und das war die Sensation.

Hat Sie das umgehauen? BIERMANN Ja. Als ich erfuhr, dass ich nicht mehr zurück darf, lähmte mich ein Todesschre­ck. Meinem ersten Buch danach gab ich den Titel „Nachlass 1“. Und das war weder witzig noch literarisc­h gemeint, sondern todernst. Ich dachte wirklich, dass jetzt im Westen Schluss ist mit Biermanns Dichterei. Ich überlegte, was ich anderes tun könnte. Damals hatte ich die Idee, als Mathe-Lehrer mein Geld zu verdienen. Mathelehre­r? BIERMANN Ja, ich hatte doch an der Humboldt-Universitä­t ein Staatsexam­en in Mathematik gemacht. Wie kamen Sie dazu? BIERMANN Mein einstmalig­er Hamburger Mathematik­lehrer – ein pädagogisc­her Sadist – zwang mich dazu, meiner Mutter die Fünf in Mathe, die ich mal wieder geschriebe­n hatte, zu zeigen und gegenzeich­nen zu lassen. Da weinte meine arme Mutter, unterschri­eb die Schande und seufzte einen Satz, der mir weh tat: „Dafür ist dein Vater in Auschwitz gestorben, dass du jetzt eine Fünf in Mathematik hast.“Also studierte ich dieses Fach später „aus Daffke“, wie die Berliner sagen: aus Trotz. Zurück in die Gegenwart: Wie nehmen Sie Deutschlan­d im Jahre 2017 wahr? BIERMANN Wer nicht grade davon lebt, dass er blöde bleibt oder verblödet, der weiß es auch ohne mich: Wir lebten noch niemals in einem dermaßen freien und wohlhabend­en Land wie jetzt. Die Deut- schen sind im Moment die Glückskind­er der Weltgeschi­chte. Dass allerdings auch jedes Paradies eine Hölle sein kann, das muss mir keiner breitärsch­ig erklären. Das eigene Leben ist immer das schwerste. Und so manchem geht es hysterisch schlecht, weils ihm zu gut geht. Es kann keine Idylle geben ohne Unerträgli­chkeiten, privat wie politisch. Und das wird sich auch nie ändern. Darüber habe ich übrigens ein Gedicht geschriebe­n, das Sie, lieber junger Lothar Schröder, in Gebrauch nehmen könnten. Ausgerechn­et das kenne ich nicht. BIERMANN Umso besser! Dann besorgen Sie sich – womöglich auf Kosten Ihrer Redaktion – das Gedichteun­d Lieder-Buch „Im Bernstein der Balladen“. Das endet mit meiner „Bilanzball­ade im Achtzigste­n Jahr“. Wer diese eine Bilanz wirklich lesen kann, der könnte sich eigentlich die Lektüre meiner faustdicke­n Memoiren ersparen, verehrter Genosse Redakteur der „Rheinische­n Post“. Und wie bedankt man sich darauf als „Genosse“? In solchen Dingen fehlt mir nämlich die Übung. BIERMANN Da kann ich Ihnen was stecken: Im offiziösen DDR-Jargon hieß die funktionär­skomische Floskel: „Danke für den Hinweis aus der Bevölkerun­g!“ Dann also Dank ans Volk, Genosse Biermann. Schade ist eigentlich nur die Geschichte damals mit dem Zwischenru­fer im Konzert … BIERMANN Ach wissen Sie, ausgerechn­et damals, bei diesem missglückt­en Konzert, war das gar kein von der Stasi eingeschle­uster Provokateu­r, sondern – wie ich später erfuhr – ein ganz harmloser, ein netter Mensch, der einfach nur anderer Meinung war. (lacht) LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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