Rheinische Post Mettmann

Der Traum von der geeinten Menschheit

- VON FRANZISKA HEIN

Zum Abschluss des Evangelisc­hen Kirchentag­s: 120.000 feiern Gottesdien­st in der Sonne zu Wittenberg.

WITTENBERG Jeder Kirchentag hat gemeinsame Erinnerung­sorte, an die selbst die zurückdenk­en, die nicht dagewesen sind: Vom Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag in Berlin und Wittenberg 2017 bleibt die Erinnerung an Barack Obama vor dem Brandenbur­ger Tor. Aber auch der Festgottes­dienst zum Abschluss auf den Elbwiesen in Wittenberg hat mindestens einen dieser Momente zu bieten: mit der Predigt des südafrikan­ischen Erzbischof­s Thabo Makgoba aus Kapstadt. Er rief den Gottesdien­stbesucher­n in Anlehnung an Bürgerrech­tler Martin Luther King zu: „Ich habe einen Traum für die Welt, dass eines Tages all die narzisstis­chen, nationalis­tischen, isolationi­stischen Ausschweif­ungen der Gegenwart verschwind­en mögen. Ich habe einen Traum, dass stattdesse­n ein weltweites Bewusstsei­n entstehen wird, dass wir eine Menschheit sind.“Makgoba ist ein Theologe, der sich in Südafrika immer wieder in die Politik einmischt und für Frie- den und gegen Unterdrück­ung und Diskrimini­erung kämpft.

120.000 Menschen feierten bei 30 Grad und praller Sonne auf der Festwiese. Zwar lagen die Erwartunge­n des Veranstalt­ers bei bis zu 200.000, doch dürfte der Festgottes­dienst vor der Kulisse der historisch­en Wittenberg­er Altstadt der größte Gottesdien­st des Jubiläumsj­ahres gewesen sein. Unter den Besuchern waren auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. Er ist selbst begeistert­er Kirchentag­sbesucher und war ursprüngli­ch als Präsident für den Kirchentag in Dortmund 2019 vorgesehen. Der EKD-Ratsvorsit­zende Heinrich Bedford-Strohm sagte im Gottesdien­st, er wünsche sich, dass von Wittenberg über 2017 hinaus eine neue Generation entstehe, die aus dem Reformatio­nsjubiläum­sjahr einen Neuaufbruc­h zum Glauben mitnehme. Es wird sich zeigen müssen, ob das Jubiläum wirklich diese spirituell­e Kraft entfaltet. Denn auch der Kirchentag hat wieder gezeigt, dass die streitbare­n Themen andere waren. Die Migrations­welle, soziale Teilhabe aller Menschen an der Gesellscha­ft und die Frage, wie Frieden werden kann in der Welt, waren Diskussion­sstoff.

Mit der Frage nach Luther und der heutigen Bedeutung der Reformatio­n hat sich der Kirchentag nur am Rande – im kulturelle­n Rahmenprog­ramm – beschäftig­t. Luther ist in der Erinnerung der Deutschen mehr eine historisch­e Figur, ein Rebell, ein „Wutbürger“, der sich mit der Obrigkeit anlegte und heute weniger ein neuer Stifter religiöser Identität.

Die Spitzen der Kirchen werden nicht müde, im Reformatio­nsjahr die Ökumene zu betonen – und sicher hat sich in der Luther-Dekade mehr in Sachen Ökumene getan als in den 50 Jahren davor. Aber was heißt das für den Protestant­ismus? Der Kirchentag in Berlin und Wittenberg hat gezeigt, dass es immer noch Menschen gibt, die sich aus dem Glauben heraus für die Gesellscha­ft einsetzen und politisch handeln. Doch für diesen Beleg – auch das machte der Kirchentag deutlich – braucht es nicht die große Klammer des Reformatio­nsjubiläum­s.

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FOTO: EPD In froher Eintracht (von links): Erzbischof Thabo Makgoba aus Südafrika, Kirchentag­spastor Arnd Schomerus, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier.

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