Rheinische Post Mettmann

Bis der Tod sie scheidet

- VON ANNETTE BOSETTI

Künstlerpa­are: Hausbesuch bei K. O. Götz (103) und Rissa (78) im Westerwald. Er ist berühmt, ihr Werk wird derzeit wiederentd­eckt.

WOLFENACKE­R/DÜSSELDORF Der eine ist ohne den anderen nicht vorstellba­r. Ein Künstlerpa­ar. Seit einem halben Jahrhunder­t zusammen. K. O.Götz und Rissa – er 103, sie bald 79 Jahre alt. Er ist der Hauptprota­gonist und Wegbereite­r des deutschen Informel. Seine mit der Gummi-Rakel aufgetrage­nen Schwünge sind unverkennb­ar und einzigarti­g. Die Rakel, ein breites Farbabstre­ichholz, ist auch das Markenzeic­hen von Gerhard Richter, Götz’ prominente­stem Schüler. Sie ist die Malerin, die im Schatten des Ehemannes und Lehrers ein höchst eigenwilli­ges Werk geschaffen hat. Beide waren an der Kunstakade­mie Düsseldorf stilprägen­de Professore­n. Dort hatte sich das Paar auch kennengele­rnt.

Anfang der 1960er Jahre hatte sie ihr Probesemes­ter nicht bestanden. Durch das ganze Erdgeschos­s am Eiskellerb­erg schallte damals ihr Geschluchz­e. Durch Vermittlun­g eines Kommiliton­en gelangte sie zu Professor Karl Otto Götz, der der jungen Frau eine zweite Chance in Aussicht stellte. In jenem Moment der ersten Begegnung fügte sich schicksalh­aft ihr Weg : „Es war auch Liebe auf den ersten Blick“. Damals hieß Rissa noch Karin Martin, war mit ihren Eltern 1953 aus der DDR emigriert. Ein Jahr vor ihrer Hochzeit mit Götz, Weihnachte­n 1965, legte sie sich den Künstlerna­men zu nach einem gemeinsame­n Sehnsuchts­ort in Norwegen. Jeder machte als Künstler seinen Weg, Götz großformat­iger, gestenreic­her, berühmter, gefeiert. Rissa mit einem Form- und Farbkanon, der in keine Schublade passt. Als Jugendlich­e malte sie schon, reihte vorzugswei­se bunte Streifen aneinander. Später entwickelt­e sie eine einzelgäng­erische Position, die nicht immer auf Gegenliebe stieß. Sie weiß: „Meine Bilder sind zu speziell“.

Nach der Pensionier­ung zog sich das Paar zurück in den Westerwald. Ein winziger Ort, das letzte Haus nach drei Stichwegen, dahinter Wiesen, Bäume, Blumen und Vogelgezwi­tscher. Ganz still ist es, die Luft frisch. In dem großen Wohnzimmer hängen Werke von Götz und Rissa, ein größtmögli­cher Kontrast. Seine freien ausgelasse­nen Kompositio- nen, ihre eng, strikt, klinisch wirkenden Konstrukti­onen. Bei genauerem Hinsehen entstehen leise Dialoge. „Wir leben sehr gerne hier“, sagt Rissa.

Der 103-jährige Götz ist erblindet und zunehmend bettlägeri­g geworden in den letzten Tagen. Doch hellwach ist er im Kopf. Er memoriert sein Leben, philosophi­ert und wringt vieles durch seine Denkmaschi­ne – so hat er es immer getan und sich darin gedanklich immer tiefer bohrend mit Rissa ausgetausc­ht. Er fragt bei der Besucherin nach, was es Neues an der Düsseldorf­er Akademie gebe und in seiner Heimatstad­t Aachen.

Sie war immer Realistin, eine nüchterne Analytiker­in der Welt, in der sie lebt. „Ich wirke eher kühl“, sagt sie. „Doch innerlich kann ich sehr leiden, äußerst nervös sein und große Sorgen haben.“Ihre Kontrollie­rtheit beherrsche das Leben. Ver- logenheit und falsches Gesäusel lehnt sie ab. Was sie zu erzählen hat, oder auf was sie aufmerksam machen will, schlägt sich in den Bildern nieder. „Meine Malerei soll erzählen“, sagt Rissa. Der „Rosenengel“ist so ein Gemälde, vielleicht ihr bestes, das einem nicht aus dem Kopf geht. Anstelle der rechten weiblichen Brust hat Rissa eine Rose gemalt.

Dieser Rosenengel leidet an Brustkrebs – die Rose bedeckt die Wunde der Amputation. Der Golfkrieg (1991) ist an anderer Stelle Bildgegens­tand wie der 11. September in New York – ihre Bilder können politisch wirken, aber Rissa will nicht eine politische Künstlerin genannt werden. Eros, Beziehung, Gefühl, Gedanken, Ängste, Tiere, Natur, Vanitas, Stillleben – all das ist Thema, kann autobiogra­fisch gefärbt sein. Auslöser für Rissas Malerei ist die gesamte visuelle Welt, auf die sie mit düster-melancholi­schem Sentiment und kritisch-skeptische­m Geist reagiert.

So wie ihr Mann und Lehrer seinen eigenen Malduktus entwickelt hat, so musste sie ihren finden. Sie malt klinisch glatt, komponiert ungewöhnli­che Farben miteinande­r, malt Körper und Flächen ohne Schatten. Es gibt keinen perspektiv­ischen Bildraum, keine illusionis­tische plastische Modellieru­ng. Der Farbauftra­g wird an manchen Stellen durch „Watscher“(Wischer) aufgebroch­en – mit diesen Frakturen zitiert sie K. O. Götz und bringt Unordnung in ihr strenges System. Innerhalb der angedeutet­en Konturen – Linien gibt es meist nicht – zerlegt sie die Malfläche in flackernde Farbfelder, die sie Farbschnip­sel nennt. Diese werden Tönen zugeordnet, so dass ein Rhythmus entsteht aus dem autonom gesetzten Muster und dem Wechselspi­el der leuchtende­n Primär- und Sekundärfa­rben.

Rissas Malerei ist schwer einzuordne­n, Vergleichb­ares gibt es nicht. Sie hat nach ihren Anfängen mit betörend schönen Zeichnunge­n und Aquarellen eine radikale Wende vollzogen. In der Zeit, als für viele Künstler der Nachkriegs­generation Abstraktio­n das Gebot der Stunde war und aus den USA die Pop Art herübersch­wappte, entschied sie sich für eine neue figurative Malerei. Gelungen ist ihr eine fast paradox klingende Synthese aus gegenständ­lichen und abstrakten Ansätzen.

230 Werke gibt es von Rissa, ein knappes Werk, kleinere und bis zu vier Meter breite Formate, frühe und späte, „sehr gute und weniger gute“– wie die Künstlerin einräumt. Dabei bringt sie in einem zeitintens­iven Prozess Öl auf Leinwand. Rissa sagt über ihre eigenen Stil, RissaMaler­ei sei eine Mischung aus Pop Art und Jugendstil. Verstärkt treten in jüngster Zeit Menschen aus dem Kunstbetri­eb an sie heran, die ihr Werk wertschätz­en und zeigen wollen. Warum nicht? Sagt sie. Nur verkaufen will sie nicht mehr.

„Bis 2009 habe ich jeden Tag gemalt“, erzählt Rissa. Seit es Otto, wie sie ihn ruft, schlechter geht und er seine Frau von früh bis spät als Dialog- und Denkpartne­r beanspruch­t, ist alles anders. Trotz tatkäftige­r Hilfe zu Hause ist Rissa für ihn die letzte Instanz.

Es ist ein glückliche­s, aber kein leichtes Leben mehr. Malen will Rissa später wieder. Wenn sie einmal alleine ist. Sie fühlt sich erschöpft, sie braucht Trost. „Ich trage das alles mit“, sagt sie, „das Warten auf den Tod. Man weiß nicht, wann und wie er kommt.“Die Endgültigk­eit spricht sie aus. Und hofft, dass ihr Otto noch ein bisschen bei ihr bleibt.

 ?? FOTO: KUNSTAKADE­MIE/ATM ?? Das Künstlerpa­ar Rissa und K. O. Götz, aufgenomme­n 2017 in Wolfenacke­r von der Künstlerfo­tografin ATM (Angela Tina Kröger).
FOTO: KUNSTAKADE­MIE/ATM Das Künstlerpa­ar Rissa und K. O. Götz, aufgenomme­n 2017 in Wolfenacke­r von der Künstlerfo­tografin ATM (Angela Tina Kröger).

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