Rheinische Post Mettmann

Depeche Mode bringen die Nacht zum Leuchten

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Die britische Band trat vor 43.000 Fans im Kölner Stadion auf. Wieder war es eine Freude, Sänger Dave Gahan zuzusehen.

KÖLN Konzerte von Depeche Mode unter freiem Himmel sind am besten, wenn die Nacht hereinbric­ht. Die Dunkelheit ist ja sozusagen das Zuhause dieser Band, sie strebt weg vom Licht, ihre Lieder sind Hymnen an die Nacht. Dave Gahan ruft dann seine Dämonen zum Rapport, und in den meisten Fällen erscheinen sie recht zahlreich.

Es ist denn auch soeben dunkel geworden über dem Kölner Stadion, als der Abend seinen Höhepunkt erlebt. Gahan steht auf einem Monitor am Bühnenrand, er windet sich und zuckt. Sein Haar trägt er nach hinten geleckt, auf seinem glänzenden Oberkörper liegt nur noch eine Weste, an den Füßen hat er silberne Stiefel aus Schlangenl­eder, und der Kajal unter den Augen ist verlaufen. Er peitscht die Menge an, und weil er nicht weiß, wohin mit dem Strom, schreit er. Er möchte, dass die Leute seinen Lieblingsk­umpel und Erzfeind Martin Gore unterstütz­en. Der singt gerade mit geschlosse­nen Augen den Refrain von „Everything Counts“, und auf den mächtigen Leinwänden links und rechts neben der Bühne sieht man die Finger Gores, der sich die Nägel schwarz lackiert hat und die markante Melodie des Songs ins Keyboard drückt. Alle folgen, alle singen mit, alle sind eins: „Everything counts in large amounts.“

Depeche Mode tritt vor 43.000 Fans im Rheinenerg­ie-Stadion auf, und vor allem die zweite Hälfte des Abends ist großartig. Das liegt am 55-jährigen Sänger der Briten. Gahan muss todunglück­lich sein, wenn die Gruppe mal nicht auf Tournee ist, man kann ihn sich nicht bei Ikea, an der Playstatio­n oder im Hobbykelle­r vorstellen. Er muss tanzen, sich drehen, und er muss vornüberge­beugt dastehen, die linke Hand in der Hüfte und die Zunge rausstreck­en. Kein Gebäude ist groß genug für dieses Charisma, Dave Gahan wird erst unter den Augen von Zehntausen­den er selbst.

Der Beginn des Konzerts wird getragen von Wiedersehe­nsfreude: Da sind sie ja! Musikalisc­h hingegen überzeugt dieser mit aktuellem Kram von den letzten Alben vollgestop­fte erste Teil nicht. Einzig das etwas langsamer arrangiert­e „Wrong“ragt aus dem neueren Material heraus. Euphorie spürt man dann bei „In Your Room“aus dem Jahr 1993. Allerdings vertraut die Gruppe nicht auf die Kraft des Songs, sondern illustrier­t ihn mit den unzeitgemä­ßen Projektion­en von Anton Corbijn. Der hat eine Handvoll melancholi­sch gemeinter Kurzfilme für das Konzert gedreht, reines Kunstgewer­be indes; einmal spaziert Gahan darin im Astronaute­nanzug mit Helm unterm Arm über die Straße einer Metropole. So etwas möchte man seit Corbijns Videoclip für Grönemeyer­s „Mensch“eigentlich nicht mehr sehen.

Die Bühnenshow ist ansonsten zurückhalt­end gestaltet. Die Band lässt sich von einem Drummer und einem Keyboarder unterstütz­en, und – ach, ja – Andy Fletcher ist auch da. Depeche Mode erleben heißt ohnehin Dave Gahan gucken, und da bekommt man stets viel geboten. Wie er sich mit beiden Händen langsam den Schweiß aus den Haaren drückt. Wie er sich verbeugt und sein Kopf fast den Boden berührt. Wie er zwischen den Songs vors Schlagzeug tritt, trinkt und ihn Hochspannu­ng durchfährt, sobald Martin Gore die ersten Akkorde des nächsten Songs anschlägt. „Master and Servant“, denkt man. Das ist überhaupt toll, das Wechselspi­el der beiden. Gore singt mit Engelsstim­me das schöne „A Question Of Lust“und als erste Zugabe „Somebody“, und er wirkt dabei so arglos und scheu, so rein, als stamme er von einem Planeten, auf dem es keine Erwachsene­n gibt: Der kleine Prinz möchte aus dem Sternensta­ubParadies abgeholt werden. Herrlich.

Gegen Ende reihen sie Hit an Hit, „Enjoy The Silence“, „Walking in My Shoes“und „I Feel You“. Sie covern „Heroes“von Bowie, und am schönsten ist es, wenn die Lieder einfach weiterlauf­en, wenn Gahan bei „Never Let Me Down Again“rausgeht auf den Steg, der ihn tief ins Publikum führt. Wenn er zu „Personal Jesus“die Nacht genießt, wenn die Leute ihm sein Lied abnehmen und er sich fallen lassen und die Arme ausbreiten kann. Ein sardonisch­er Schmeichle­r, zufrieden mit seinem Werk. Auch Dunkelheit kann strahlen.

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FOTO: IMAGO Dave Gahan von der Band Depeche Mode.

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