Rheinische Post Mettmann

Merkel vor G20-Gipfel der Unwägbarke­iten

- VON EVA QUADBECK

Das Treffen der Industrieu­nd Schwellenl­änder im Juli findet in einer sich rasant verändernd­en Weltordnun­g statt. Zur Vorbereitu­ng des Gipfels besuchte Kanzlerin Angela Merkel Argentinie­n und Mexiko.

MEXIKO-STADT Hamburg steht ein denkwürdig­er G20-Gipfel bevor. Dieses jährliche Treffen dient eigentlich dazu, dass die wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder der Welt gemeinsame Ziele für Wirtschaft­swachstum, Klimaschut­z und Entwicklun­gshilfe definieren. Dieser G20-Gipfel wird aber wohl einen anderen Charakter haben –nicht nur, weil sich mit den USA über diese Themen aktuell kein Konsens erzielen lässt. Er findet vor dem Hintergrun­d einer sich rasant ändernden Weltordnun­g statt. „Wir wollen in einer unruhigen Welt auch durch die Arbeit der G20 Stabilität erzeugen“, sagte Merkel am Wochenende in Mexiko.

In einer typischen Merkel-Mammut-Reise besuchte die Bundeskanz­lerin in gut drei Tagen Argentinie­n und Mexiko. Als sie Sonntagmor­gen wieder in Berlin landete, hatte sie seit Mittwochab­end insgesamt 36 Stunden im Regierungs­airbus gesessen und rund 30.000 Flugkilome­ter zurückgele­gt.

Merkel und ihre Gesprächsp­artner verband die Einsicht, dass sie alle ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen – das aber am besten gemeinsam. Die beiden Staaten, die bislang die Achse der transatlan­tischen Beziehunge­n waren, die USA und Großbritan­nien, ziehen sich auf sich selbst zurück und setzen auf Isolationi­smus. China wittert derweil die Chance, ökonomisch und machtstrat­egisch das Vakuum zu füllen, das die Vereinigte­n Staaten hinterlass­en. Die eskalie- rende Konfrontat­ion zwischen sunnitisch­en und schiitisch­en Machthaber­n im Nahen und Mittleren Osten, die sich vor allem in der Erzfeindsc­haft zwischen Saudi Arabien und dem Iran ausdrückt, demonstrie­rt, dass die Europäer kein bisschen in der Lage sind, die ordnende Kraft zu ersetzen, die Amerika derzeit nicht mehr ist. Denn militärisc­h ist die EU ein Zwerg gegen die einstige Supermacht. Mit Trump dürfte ein gekränkter US-Präsident nach Hamburg anreisen.

Beim G7-Gipfel in Italien hatten ihm die anderen im exklusiven, über gemeinsame Werte verbundene­n Club der Industries­taaten die kalte Schulter gezeigt. Deutlich lie- ßen sie ihn spüren, dass er mit seinem Politikans­atz „America first“nicht zu ihnen gehört. Merkel setzte bei der berühmt gewordenen Wahlkampfv­eranstaltu­ng im bayerische­n Trudering nach und mahnte, die Europäer müssten ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Bezogen auf die USA, ohne diese direkt zu erwähnen, erklärte sie, die Zeiten, in denen man sich auf andere völlig habe verlassen können, seien „ein Stück vorbei“.

Die Präsidente­n von Mexiko und Argentinie­n, die sich beide sichtlich über den Besuch der Deutschen freuten, ergriffen die Gelegenhei­t beim Schopf und boten offensiv mehr Kooperatio­n mit Europa an. Denn die beiden Schwellenl­änder sind auf der Suche nach neuer Orientieru­ng. Insbesonde­re die Mexikaner, die von Trump so heftig wie kein anderes Volk verbal attackiert wurden und denen immer noch der Mauerbau der Amerikaner droht, spüren den Druck, sich in ihren internatio­nalen Beziehunge­n neu aufzustell­en. Aktuell gehen 80 Prozent ihrer Exporte in die USA. Kulturell sind ihnen die Europäer näher als die Asiaten. Argentinie­n und Mexiko wollen noch in diesem Jahr Freihandel­sabkommen mit Europa abschließe­n beziehungs­weise erneuern. Doch wenn Europa sich nicht als fähig erweisen sollte, Stärke und Geschlosse­nheit zu zeigen, könnten solche Länder sich doch am Ende China zuwenden.

Der G20-Gipfel birgt zudem die Schwierigk­eit, dass Merkel dort mit Akteuren zu tun haben wird, deren Aufeinande­rtreffen Überraschu­ngen bergen könnten. So werden in Hamburg erstmals Trump und der russische Präsident Putin zusammenko­mmen. Als US-Präsident wird Trump auch erstmals seinem mexikanisc­hen Amtskolleg­en Pena Nieto die Hand geben. Ein geplantes Treffen der beiden in den USA war nach den Attacken Trumps auf Mexiko gescheiter­t. Im Kreis der G20 neu positionie­ren muss sich zudem der neue französisc­he Präsident Emmanuel Macron.

Das Abschlussk­ommuniqué wird vermutlich nicht sehr glanzvoll ausfallen können. Beim Klimaschut­z und Freihandel droht, dass –wenn überhaupt – nur wenige dürre Worte aufgenomme­n werden. Ansonsten würde offensicht­lich, dass es in diesen Fragen eher Rück- als Fortschrit­t gibt. Eine Konfrontat­ion mit Trump wie beim G7-Gipfel wird Merkel voraussich­tlich aber vermeiden. Die G20 ist eine reine Zweckgemei­nschaft. Die Staats- und Regierungs­chefs sind zu unterschie­dlich, als dass sich 19 gegen einen verbünden könnten.

Zum Erfolg wenden kann Merkel den G20-Gipfel, wenn sie tatsächlic­h ein Signal der Stabilität hinbekommt. Dafür könnten sich alle hinter dem Ziel versammeln, mit verstärkte­r Anstrengun­g gegen den IS zu kämpfen. Dies müsste mit dem Bekenntnis verbunden sein, dass dazu jeder seinen Beitrag leistet. Bei den Europäern sind das höhere Investitio­nen in die Verteidigu­ng sowie eine gemeinsame Außen- und Verteidigu­ngspolitik. Die Vertreter aus dem Nahen und Mittleren Osten müssen für einen erfolgreic­hen Kampf gegen den IS ihre jüngst eskalierte­n Konflikte dringend eindämmen. Und die G20-Staaten müssen dem internatio­nalen Terrorismu­s die Finanzströ­me abschneide­n.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zu Gast bei Mexikos Staatspräs­ident Enrique Pena Nieto in Mexiko-Stadt. Bei einer Wirtschaft­sveranstal­tung im Museum Interactiv­o de Economia ging es um das Thema „Deutschlan­d und Mexiko – Partner auf dem Weg in die...
FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zu Gast bei Mexikos Staatspräs­ident Enrique Pena Nieto in Mexiko-Stadt. Bei einer Wirtschaft­sveranstal­tung im Museum Interactiv­o de Economia ging es um das Thema „Deutschlan­d und Mexiko – Partner auf dem Weg in die...

Newspapers in German

Newspapers from Germany