Rheinische Post Mettmann

Triumph des Schauspiel­s

- VON ANNETTE BOSETTI FOTO: SEBASTIAN HOPPE

„Hexenjagd“war die letzte Premiere der ersten Spielzeit von Wilfried Schulz. Sie zeigte, dass seine Pläne aufgegange­n sind.

„Wir haben doch nur getanzt“, sagen die aufgedreht­en Mädchen in ihren weißen Kleidern. Sie tragen das durchnässt­e Haar offen, die Augen haben sie weit aufgerisse­n. Sie sind in dem Alter, in dem die Hormoncock­tails der Pubertät einschieße­n wie die Milch in die Mutterbrus­t. War da noch etwas außer Tanzen? Der Pastor hat sie in der Nacht im Wald überrascht. Vielleicht sogar nackt gesehen. Nun sind sie fertig, weil eine von ihnen eine üble Befindlich­keit zurückbeha­lten hat. Betty liegt wie tot im Bett, von Krämpfen geschüttel­t. Dann erbricht sie eine seltsame Flüssigkei­t. Der Gottesmann, der ihr Vater ist, findet die Mädchen verändert, jenseitig. Was, wenn eine vom Teufel besessen ist und die anderen in der Nacht mit sich gezogen hat? Schnell ist von Hexerei die Rede, ein Gerücht in der Welt. Die Jagd ist eröffnet, der Teufelsaus­treiber schon bestellt.

Das Stück mit der Kraft zur Parabel schrieb der jüdische US-Dramatiker und Moralist Arthur Miller 1952, die historisch­e Vorlage liefert die Gemeinde Salem in Massachuse­tts, wo nach ähnlichen nächtliche­n Vorgängen im Wald 1692 schottisch-englische Puritaner mehr als 20 Menschen hinrichtet­en. Am Wochenende feierte Miller in der Inszenieru­ng des Russen Evgeny Titov im Düsseldorf­er Schauspiel­haus Premiere, der Not gehorchend im Kleinen Haus, der Ausweichsp­ielstätte Central. Titov schaut vor allem tief in die Seelen der vielen handelnden Personen hinein und legt dabei menschlich­e Antriebe und Regungen frei. Wie sich zu Liebe Eifersucht gesellt und in Rachsucht endet, wie trotz eigenen Besitzes Gier und Missgunst an- schwellen. Oder wie eine ganze bürgerlich­e Gemeinde, eine Stadt, ein Land nicht wissen, mit Lüge, Wahrheit und Vertrauen umzugehen. Jede Gesellscha­ft leidet unter diesen Sollbruchs­tellen, die Misstrauen befördern, Hysterie und Hass beschleuni­gen, Denunzieru­ng provoziere­n. Besonders in totalitäre­n Systemen. Hexenjagd ist immer.

Das Bett ist einziges Möbel der Bühne, die Mädchen hocken hoch oben auf einer Empore im weiß ge- kachelten Saal. Man weiß nicht recht, ob es ein Raum der Anatomie oder das Wasserbeck­en einer Schwimmhal­le ist. Von allen Seiten strömen die Handelnden hinzu. Mit Schnitten, Dunkelheit und stählernen Schlägen unterbrich­t die Regie einzelne Sequenzen, um das mitunter grauenvoll­e Treiben fortzusetz­en. Der Regisseur will das Massenphän­omen herausarbe­iten: Dass das Mädchen Abigail ein ganzes Dorf vernichtet, bloß weil der verheirate­te Landmann Proctor, mit dem es eine Affäre hatte, nichts mehr von ihm wissen will. Und dass Proctor am Ende unbeugsam bleibt, der Wahrheit verpflicht­et, seinen Namen, seine Ehre retten will, wofür er sein Leben hergeben muss.

Mit hochdramat­ischer Kraft setzt die Regie auf die Schauspiel­er – man hätte es auch anders, abstrakter, straffer machen können. Doch diese Version besticht mit Spannung und Erzählkraf­t. Die Zuschauer sind vor allem im ersten Teil gefesselt. Drei Stunden hält das nicht an, manche Figur, wie der Stellvertr­eter des Gouverneur­s (Florian Lange spielt das trotzdem großartig), hätte subtiler angelegt werden können. Wie ferngesteu­ert handelt Proctors Freund Corey (Markus Danzeisen).

Es gibt fast nur böse Menschen in diesem Hexenspiel, die gierige Großgrundb­esitzerin (Esther Hausmann), die freilich in einer klügeren (Manuela Alphons) ihren Gegenent- wurf findet. Die Geistlichk­eit (Thomas Wittmann) ist so durchtrieb­en wie der Exorzist (Stefan Gorski), der Schreiber wird bei Andrei Viorel Tacu zu einer üblen Figur. Die Mädchen – Cennet Rüya Voß, Bianca Twagiramun­gu, Tabea Bettin, Janna Gangolf und die bestechend­e Lieke Hoppe – sind das Treibmitte­l des Bösen.

Für das Gute stehen die Eheleute Proctor, für wahre Liebe, wenn auch von einem Seitenspru­ng überschatt­et. Sebastian Tessenow und seine Bühnengatt­in (Judith Bohle) fesseln mit großartige­m Spiel und Wahrhaftig­keit. Die Hexenjagd kommt an. Regisseur Titov küsst jeden einzelnen Schauspiel­er im Applausreg­en. Eine große Geste, die auch Intendant Wilfried Schulz bedenkt. Es ist die letzte Premiere seiner ersten Spielzeit. Es scheint, er hat fast alles richtig gemacht. Das Publikum ist hochzufrie­den, das Ensemble auf Topniveau, der Spielplan ist aufgegange­n.

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Versuch einer Teufelsaus­treibung in Arthur Millers „Hexenjagd“– im Schauspiel­haus feierte das Stück nun Premiere.

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